Endloser Streit um die amtlichen Ortsnamen Südtirols
Im Winter 2017 von Dr. Johannes Ortner
In den letzten Wochen ist wieder Fahrt in die Diskussion um die Umsetzung des Ortsnamengesetzes gekommen, doch der Kompromiss zwischen PD und SVP auf Landesebene scheint gefährdet und kurz vor dem Zieleinlauf gerät der Ortsnamen-Marathon wieder einmal ins Straucheln ...
Der Streit um die amtlichen zwei- bzw. dreinamigen Orts- und Geländebezeichnungen ist eines der letzten Bastionen des ethnischen Streits in Südtirol geblieben, von den architektonischen Zeugen des Faschismus mal abgesehen. Die verschiedenen Standpunkte könnten dabei nicht unterschiedlicher sein: Patriotische Positionen auf deutscher Seite weisen permanent auf den Unrechtscharakter der italienischen Ortsnamen hin. Fakt sei: Fast alle italienischen Namen, vom fanatischen Irredentisten Ettore Tolomei am grünen Tisch kreiert ‒ nach seinen Ansichten „rückerstattet“ ‒, wären ausschließlich amtlich verbindlich und würden die Siedlungsgeschichte Südtirols verfälschen. Große Teile der italienischen Bevölkerung weisen ebenso beharrlich darauf hin, italienische Namen würden einen Gebrauchswert aufweisen, hätten sich aus ihrem faschistischen Kontext gelöst und wären für die Daseinsberechtigung der Italiener/-innen in Südtirol unerlässlich. Die Crux dabei: Beide Positionen haben recht! Und beide Positionen sind in ihrem Kern und in ihren Forderungen unversöhnlich. „Tertium non datur!“, sagten schon die alten Römer.
Eine Lösung kann demnach nur ein gesellschaftspolitischer Kompromiss sein, der für Teile beider „Lager“ schmerzhaft ist. Manche Südtiroler werden sich dazu durchringen müssen, die Makrotoponomastik sprich Gemeinden, Katastralgemeinden, größere Dörfer, Hauptbäche, -pässe und -gipfel usw. italienisch zu belassen ‒ als Zugeständnis an das Heimatgefühl der italienischen Mitbürger/-innen (Stichwort disagio). Die Toponomastik mittlerer und kleinerer Reichweite ‒ die tausenden Flur-, Alm-, Berg- und Weilernamen ‒ sollte jedoch eine historisch begründbare bleiben. Gestritten dürfte letztendlich über die Anzahl der gebrauchten italienischen Namen werden: Sind es 400, 600, 1200 oder 1500 Namen, die gebraucht werden? Wer stellt dies fest und wer stellt welche Kriterien dafür auf? Wer hat überhaupt die Liste von 1.526 offiziellen Südtiroler Namen (Anhang 1 des Durnwalder-Fitto-Abkommens) erstellt? Der damalige Landeshauptmann selbst oder einer seiner Beamten? Mit welcher Qualifikation?
Im Prinzip wurden geografische Namen immer auch übersetzt: Venedig, Vienna, Vatikan ‒ lauter gebrauchte Exonyme, die wie die Namen Bolzano, Bressanone, Trient, Eichholz durch ihren Verkehrswert bzw. durch ihre Lage an der Kontaktzone von zwei Sprachgruppen entstanden sind, so auch im Fall Namen-Triade Bruxelles/Brussels/Brüssel. Allerdings nicht willkürlich aus der Feder eines Nationalisten, dessen Absicht es war, den Alliierten nach dem 1. Weltkrieg vorzugaukeln, dass Südtirol uritalienisches Gebiet wäre: Fino all’ultimo casolare! Schon allein aus diesem Grund wird die Tolomei'sche Toponomastik vielen Südtirolern wohl immer ein Ärgernis bleiben. An dieser Stelle sei einigen Sektionen des AVS jedoch der Vorwurf gemacht, das man mit strikt einsprachigen Tafeln ‒ z. B. im Falle von Bozen ‒ über das Ziel hinausgeschossen hat und die Ortsnamen-Lawine erst ins Rollen gebracht hat.