Corona-Krise und Hilfspakete
Im Frühling 2020 von Eva Pföstl
Seit Februar hat die Corona-Krise Europa und damit auch Südtirol voll erfasst. Kurzfristig hat sie zum fast vollständigen „Lockdown“ der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aktivitäten geführt. Die Politik versucht nun mit enormen finanziellen Förderprogrammen, die Liquiditätsprobleme der Unternehmen und die Einkommensausfälle der Beschäftigten soweit überhaupt möglich aufzufangen, bis die Einschränkungen schrittweise wieder aufgehoben werden können. Wir haben Georg Lun, den Direktor des WIFO der Handelskammer Bozen, um ein schriftliches Interview gebeten.
MS: Wie wird die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Jahr sein?
G. Lun: Die europäische Kommission erwartet heuer einen Rückgang der Wirtschaftsleistung in den EU-27-Ländern von minus 7,4 %, in Italien sogar von minus 9,5 %. Für Südtirol prognostizieren wir ebenfalls einen starken Rückgang des Bruttoregionalproduktes im Ausmaß von minus 7 % bis minus 11 %. Das ist eine negative Entwicklung, die in diesem Ausmaß seit der Nachkriegszeit einmalig ist. Viel hängt jetzt von der Entwicklung der Infektionszahlen ab und ob die Unternehmen und bei uns ganz besonders auch der Tourismus schnell wieder seine Arbeit aufnehmen kann. Je länger sich die Einschränkungen hinziehen, desto schwieriger wird es nämlich auch, die Wirtschaftstätigkeit rasch wieder hochzufahren.
MS: Das Land Südtirol, der Staat und die EU stellen eine Vielzahl an Förderungen in Aussicht, um die aktuelle Krise zu bewältigen. Können diese Förderungen die Wirtschaftskrise abmildern?
G. Lun: Alle öffentlichen Einrichtungen haben verstanden, dass massive Förderungen für Arbeitnehmer und für Unternehmen notwendig sind, wenn wir diese schwere Krise einigermaßen überwinden wollen. Da geht es einmal darum, den Familien über das Arbeitslosengeld und die Lohnausgleichskasse das finanzielle Überleben zu sichern und auf der anderen Seite den Unternehmen Liquidität sicherzustellen, damit sie nicht insolvent werden, z. B. über Verlustbeiträge für Kleinunternehmen, Garantien und Bürgschaften. Allein Südtirol hat ein Maßnahmenpaket von ca. 2 Mrd. Euro geschnürt, wobei ca. 1,5 Mrd. davon Garantieleistungen sind, die nicht unmittelbar den Landeshaushalt belasten. Dieselbe Vorgangsweise hat auch die Regierung in Rom gewählt und plant nach den im März genehmigten 25 Mrd. Euro weitere Fördermaßnahmen in Höhe von ca. 55 Mrd. Euro. Schließlich ist auch die EU in der Zwischenzeit aktiv geworden und stellt den Mitgliedsstaaten ein umfangreiches Kreditpaket von ca. 500 Mrd. Euro zur Verfügung. All diese Maßnahmen können uns über die nächsten schwierigen Monate hinweghelfen.
MS: Reichen diese Maßnahmen aus oder sind in den nächsten Monaten weitere Hilfspakete erforderlich?
G. Lun: Es ist abzusehen, dass weitere Maßnahmen ergriffen werden müssen. Die Staaten und die EU sind bereits dabei, Instrumente zu entwickeln, um die Konjunktur nach der ersten akuten Phase wieder in Schwung zu bringen. Da geht es hauptsächlich darum, öffentliche Investitionsprogramme zu entwickeln und den Konsum wieder in Schwung zu bringen. Die EU spricht nicht von ungefähr über einen „Wiederaufbaufonds“, der ein Volumen von bis zu 1,5 Billionen Euro haben soll.
MS: Wo kommen die Ressourcen für diese riesigen Hilfspakete her, gerade Italien hat ja derzeit schon eine Verschuldungsquote von ca. 130 % des BIP?
G. Lun: Auch finanziell starke Länder wie Deutschland können den enormen Mittelbedarf nicht aus dem laufenden Haushalt finanzieren. Im Wesentlichen müssen sich die Staaten deshalb am Kapitalmarkt verschulden, denn der Ankauf von Staatsverschuldungen durch die Zentralbank ist im Gegensatz zu den USA im EURO-Raum rechtlich nur in eingeschränktem Ausmaß möglich. Der internationale Kapitalmarkt ist durchaus in der Lage, diese Mittel zur Verfügung zu stellen, will aber eine angemessene Verzinsung bekommen und hat auch ein waches Auge darauf, Verlustrisiken möglichst zu beschränken. Und da beginnen die Probleme gerade für Italien. Italien hat eine sehr hohe Staatsverschuldung, seit ca. 25 Jahren kaum mehr Wirtschaftswachstum erzielt und die Wettbewerbsfähigkeit Italiens gehört nicht zu den Besten.
MS: Was bedeutet die mangelhafte Kreditwürdigkeit für Italien?
G. Lun: Italien muss viel höhere Zinsen am Kapitalmarkt bezahlen als etwa Deutschland. In den Medien wird immer wieder über den so genannten „Spread“ berichtet, das ist die Zinsdifferenz zwischen italienischen und z. B. deutschen Staatsanleihen. Je höher dieser „Spread“ wird, desto teurer wird es für Italien Schulden aufzunehmen. Vor wenigen Tagen erst hat die Ratingagentur FITCH die Kreditwürdigkeit Italiens zurückgestuft, was unmittelbar zum Anstieg des „Spread“ geführt hat. Deswegen versucht die italienische Regierung vehement, die EU dazu zu bewegen, stärker aktiv zu werden. Bis Juni soll von der EU-Kommission deshalb ein Kreditpaket geschnürt werden, das es Italien und anderen südeuropäischen Ländern erlaubt, trotz der ungünstigen Rahmenbedingungen weitere Schulden aufzunehmen. Ich bin überzeugt, dass die EU-Staaten sich einigen werden und ein gemeinsames Programm auflegen, damit alle, auch die schwächeren Mitgliedsländer, den wirtschaftlichen Wiederaufbau in Angriff nehmen können.
MS: Wird es in Italien zu Steuererhöhungen kommen?
G. Lun: Schulden bedeuten immer, es kann jetzt Geld ausgegeben werden, das später zurückzugeben ist. Irgendwann sind die Schulden also vom Staat an die Kreditgeber zurückzuzahlen. Solange es Wirtschaftswachstum gibt, ist das kein großes Problem, dann können die Schulden über das Wachstum finanziert werden, denn in diesem Fall wächst auch der Staatshaushalt an, aus dem die Schulden bedient werden müssen. Italien leidet aber seit Jahrzehnten unter einer Wachstumsschwäche. Mittelfristig muss sich das ändern, ansonsten sind die hohen Staatsschulden tatsächlich nicht tragfähig. Außerdem ist Italien bereits ein Hochsteuerland, noch höhere Steuern würden das Wachstum wohl kaum fördern. Auf der politischen Bühne wird sogar eher über Steuersenkungen gesprochen, was aber wohl ebenfalls kaum umsetzbar sein wird.
MS: Wie kann Italien aus diesem Dilemma herauskommen?
G. Lun: Die Rezepte sind eigentlich alle wohlbekannt und seit Jahrzehnten auf der politischen Agenda. Italien muss seine Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Dazu braucht es aber geeignete Rahmenbedingungen. Moderne öffentliche Infrastrukturen, effiziente, unbürokratische Verwaltungsabläufe, Rechtssicherheit für Investoren, aber auch eine auf Innovation und Fortschritt ausgerichtete Gesellschaft. Ich glaube, die aktuelle Krise macht es deutlich: Die Menschen sind durchaus flexibel und anpassungsfähig und offen, neue Herausforderungen anzunehmen. Jetzt sollten auch die Institutionen bereit sein, sich zu reformieren und neu aufzustellen.
MS: Wie ist die Lage in Südtirol einzuschätzen?
G. Lun: Sind wir in der Vergangenheit bei Wirtschaftskrisen oft nur mit wenigen Blessuren ausgestiegen, so trifft es uns diesmal gleich stark wie viele andere Regionen. So ist z. B. der Tourismus für Südtirol ein zentraler Wirtschaftssektor, der direkt und indirekt ca. 18 % zum Bruttoregionalprodukt beiträgt. Gerade als Grenzregion treffen die Reisebeschränkungen Südtirol massiv. Die nächsten 12 Monate werden deshalb sicherlich nicht einfach werden. Wir müssen damit rechnen, dass Unternehmen in Schwierigkeiten geraten und dass die Arbeitslosigkeit deutlich ansteigen wird. Es wird auch weitere Unterstützungsmaßnahmen der öffentlichen Hand brauchen. Südtirol ist aber durchaus in der Lage, diese Mittel aufzubringen.
MS: Gibt es für Südtirol auch einen Hoffnungsschimmer?
G. Lun: Da bin ich sehr zuversichtlich. Wenn die akute Krisensituation einmal vorbei ist, dann hat Südtirol viele wirtschaftliche Chancen. Unser Land wird wieder sehr interessant als Reisedestination sein. Vielleicht bietet die aktuelle Nachdenkpause sogar die Chance, sich besser aufzustellen und kritische Aspekte des Tourismus besser in den Griff zu bekommen. Auch viele Betriebe in den anderen Sektoren sind gut aufgestellt, die Mitarbeiter sind überdurchschnittlich gut ausgebildet und sehr motiviert. Außerdem stelle ich bei Unternehmern und Mitarbeitern eine große Innovationslust fest und die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen. Die Politik hat dazu in den letzten Jahren wesentlich beigetragen. Wenn wir als Gesellschaft in der Lage sind, diese Einstellung auch in Zukunft beizubehalten, dann wird die wirtschaftliche Erholung sicherlich gelingen.
MS: Danke für Ihre interessanten Ausführungen.