Der Pakt gegen den Papst
Franziskus und seine Feinde im Vatikan
Im Herbst 2020 von Eva Pföstl
Andreas Englisch, der ja bekanntlich „Wahl-Meraner“ ist, kennt den Vatikan so gut wie kaum ein anderer Journalist. Nun ist er einer mächtigen Verschwörung auf die Spur gekommen, die bis in die höchsten Kreise der Kurie reicht: Einflussreiche Kleriker sehen in Franziskus nicht den mutigen Reformer der katholischen Kirche, sondern einen verkappten Kommunisten, der Verrat an zentralen Dogmen des Glaubens begeht. Deswegen sind sie entschlossen, den Heiligen Vater mit allen Mitteln zu bekämpfen und Franziskus zum Rücktritt zu zwingen. Die Recherchen zu seinem neuen Buch „Der Pakt gegen den Papst“ führen Andreas Englisch über kleine Kirchen und prachtvolle Paläste bis in Franziskus’ Hauptquartier im Haus der heiligen Martha. Durch seine geheimen Treffen mit den Gegnern des Papstes kann er nicht nur zeigen, wie gefährdet Franziskus wirklich ist, sondern auch die Frage beantworten, warum sich die katholische Kirche ausgerechnet im Moment ihrer größten Krise einen solch gnadenlosen Kampf um ihr Oberhaupt liefert.
Wir haben Andreas Englisch um ein Interview gebeten.
MS: Herr Englisch, Sie kennen Papst Franziskus sehr gut. Wie schaut denn ein ganz normaler Tag im Leben des Papstes aus?
A. Englisch: Der Wecker des Papstes klingelt früh. Um viertel vor sechs Uhr ist die Nacht zu Ende. Der Papst beginnt den Tag in seinem Zimmer Nummer 201 im Gästehaus der Heiligen Martha im Vatikan. Er duscht, zieht sich an, und beginnt mit der Meditation. Um 7 Uhr liest er die Frühmesse in der wundervollen Kapelle des Gästehauses, die einem Zelt in der Wüste nachempfunden ist. Um 8 Uhr gibt es Frühstück in der Mensa, um 9 Uhr beginnt der Papst in seinem Büro im zweiten Stock des Gästehauses mit der Arbeit. Um 11 Uhr beginnen die Privataudienzen, Kardinäle, Staatschefs, Bischöfe treffen sich mit dem Papst. Um 12 Uhr betet der Papst das Angelus-Gebet. Danach gibt es Mittagessen und anschließend ruht der Papst etwa eine Stunde aus, er hört gern Musik oder liest Gedichte, zum Beispiel von Hölderlin. Gegen 15 Uhr beginnen die Audienzen des Nachmittags mit den wichtigsten Chefs der Kirchenregierung, der Kurie. Gegen 19 Uhr beginnt das Abendgebet und um 20 Uhr das Abendessen in der Mensa. Gegen 21 Uhr zieht sich der Papst zurück und liest noch bis zum Einschlafen.
MS: Papst Franziskus hat in den zweieinhalb Jahren im Amt viele komplexe Reformen eingeläutet. Was ist das Revolutionäre an diesem Papst, im Vergleich zu seinen Vorgängern?
A. Englisch: Die Revolution des Papstes Franziskus begann unmittelbar nach seiner Wahl, als er die Menge auf dem Petersplatz bat, zunächst ihn zu segnen, bevor er die Gläubigen segnete. Er ist der erste Papst der Geschichte, der den Titel Vikar Jesu Christi ablehnt, der erste, der Homosexuelle um Vergebung bat für das, was die Kirche ihnen angetan hat, der erste, der den pompösen Lebensstil der Päpste ablehnt, sich im Kleinwagen fahren lässt, der erste, der in einem Abkommen mit dem Islam erklärte, dass Gott eine Vielfalt der religiösen Offenbarungen wollte, also Jesus nicht allein Gottes Botschaft überbrachte, der erste, der wiederverheiratete geschiedene Katholiken zu den Sakramenten zuließ und vor allem auch der erste Papst, der Frauen auf Chefsessel im Vatikan holte.
MS: Wie stark ist das 83-jährige Kirchenoberhaupt wirklich?
A. Englisch: Der Papst ist sehr stark. Das zeigt die Entschlossenheit, mit der er gegen Gegner in den eigenen Reihen vorgegangen ist. Er ordnete an, dass zahlreiche Büros des Vatikans wegen des Verdachts der Korruption durchsucht wurden, stellte hohe Mitarbeiter und sogar Kardinäle kalt.
MS: In Ihrem neuen Buch „Der Pakt gegen den Papst“ sprechen Sie ganz klar von Feinden, die aktiv versuchen, Papst Franziskus und seine Arbeit zu behindern. Wie gefährlich lebt der Papst eigentlich im Vatikan? Muss er um sein Leben bangen?
A. Englisch: Dass er um sein Leben bangen muss, glaube ich nicht. Aber ich verstehe alle, die davor Angst haben, dass dem Papst etwas zustoßen könnte. Schließlich sollten die letzten vier Päpste entweder ermordet oder aus dem Amt gedrängt werden. Papst Paul VI. entging knapp einem Mordanschlag in Manila, Johannes Paul I. starb unter nie geklärten Umständen, Johannes Paul II. entging in Rom und in Fatima zwei Mordanschlägen, Papst Benedikt schließlich wurde aus dem Amt gedrängt. Es gibt keinen Zweifel daran, dass der Job des Papstes gefährlich ist.
MS: Wenn er so viele Feinde hat, wieso ist er überhaupt gewählt worden?
A. Englisch: Franziskus wurde zum Papst gewählt, weil man ihn für einen kranken (er hat nur einen Lungenflügel) und schwachen Übergangspapst hielt. Dass er sich in einen Revolutionär verwandeln könnte, der das Amt des Papstes und die Kirche auf den Kopf stellen würde, haben auch die, die ihn wählten, niemals in Erwägung gezogen. Er wurde als Bischof von Buenos Aires mit einem scheuen Reh verglichen, aber dass dieses Reh sich in einen Löwen verwandeln könnte, haben auch seine Anhänger nie für möglich gehalten.
MS: Warum wird der Papst so angegriffen? Bei verschiedenen Themen, wie z. B. verheiratete Priester und Frauen in Weiheämtern, will Franziskus offenbar nicht vom Status quo abrücken. Über welche Art Reformen sprechen wir dann?
A. Englisch: Er wird angegriffen, weil seine Reformen der Kirche ihre Arroganz nehmen, die Alleinseligmachende zu sein. Er sagt: Es gibt viele Wege ins Paradies. Er wertete die anderen christlichen Kirchen, die bisher als Sekten von den Katholiken beschimpft wurden, ebenso auf, wie andere Religionen. Seine Feinde meinen, dass er damit der katholischen Kirche den Reiz nahm, die einzige von Gott selbst gegründete Institution in der Geschichte der Erde zu sein.
MS: Wo ist denn Ihrer Ansicht nach der Widerstand gegen Franziskus am deutlichsten geworden?
A. Englisch: Der Widerstand gegen den Papst wurde durch eine sehr dramatische Tatsache deutlich. Er ist der erste Papst seit Jahrhunderten, dem seine Gegner offen mit einer Kirchenteilung, einem Schisma, drohen. Sie erklärten, dass sie eine neue katholische Kirche gründen wollen und der Papst erklärte, dass er davor keine Angst habe.
MS: Wer ist denn in Ihren Augen der gefährlichste Widersacher für Franziskus?
A. Englisch: Es gibt nicht einen Widersacher, es gibt eine ganze Organisation, die versucht, aus dem Hintergrund den Papst zu treffen. Die Schläge gegen Franziskus wie die nicht abreißenden Skandale, die zeigen sollen, dass unter diesem Papst das Geld der Gläubigen verschleudert wird, könnte ein einzelner gar nicht planen und durchführen, daran müssen viele Kirchenmänner beteiligt sein.
MS: Kann sich Papst Franziskus gegen seine Feinde durchsetzen?
A. Englisch: Er kann sich zweifelsohne durchsetzen, das sieht man daran, dass er nicht davor zurückschreckt, selbst Kurienkardinäle wie Giovanni Angelo Becciu oder den einst allmächtigen Sekretär von Joseph Ratzinger, Georg Gänswein, zu feuern.
MS: Sie sind bekennender Franziskus-Fan. Gibt es einen Punkt, wo Sie sich mehr vom Papst gewünscht hätten?
A. Englisch: Dieser Papst ist mit seinen mutigen Entscheidungen sehr viel weiter gegangen, als ich je von einem Papst zu hoffen gewagt hätte. Ich glaube daran, dass Gott diesen Papst geschickt hat, um der katholischen Kirche, die mit dem Rücken zur Wand steht, noch einmal neues Leben einzuhauchen.