Der Südtiroler Energieverband blickt in die Zukunft
Im Sommer 2015 von Gudrun Esser
Meraner Stadtanzeiger: Die Landesregierung hat ihr Ziel erreicht: Die Fusion von SEL und Etschwerken ist so gut wie unter Dach und Fach. Der SEV hatte sich gegen diesen Zusammenschluss ausgesprochen. Sehen Sie inzwischen dieselben Vorteile wie Landeshauptmann Kompatscher?
Rudi Rienzner: Nein, natürlich nicht. Wir glauben einfach, dass der Trend – auch auf den europäischen Energiemärkten – in eine andere Richtung geht. Wenn etwa ein Konzern wie Eon plötzlich in die dezentrale und kleinräumig aufgestellte Produktion und Verteilung investiert, hat das sicher einen Grund. Wir hätten uns ein Kooperationsmodell gewünscht, das bestehende Unternehmen, Stadtwerke und Genossenschaften verbindet und den Strom aus großen Wasserkraftwerken – etwa über einen Strompool und eine Südtiroler Strombörse – allen zur Verfügung stellt. Aber – und das möchte ich betonen – wir blicken in die Zukunft. Es ist eine Entscheidung gefallen und wir müssen jetzt das Beste daraus machen.
MS: Und wann bekommen wir endlich günstigeren Strom?
Rudi Rienzner: Das geltende Tarifsystem – mit Steuern und Abgaben, die schließlich einen beträchtlichen Teil des Endpreises ausmachen – legt der staatliche Gesetzgeber und nicht das Land Südtirol fest. Auch die neue Gesellschaft wird an diese Vorgaben gebunden sein. Die Fusion bringt also keinen billigeren Strom. Dagegen haben vor allem „historische“ Genossenschaften einen gesetzlich verankerten Preisvorteil. Zudem – und auch das möchte ich unterstreichen – sind Genossenschaften Non-Profit-Betriebe, die Bilanzgewinne aus dem Energiegeschäft unmittelbar an ihre Mitglieder und damit an Familien und Unternehmen weitergeben.
MS: Ist mit der Fusion nicht die Existenz der kleinen und mittleren Energiebetriebe gefährdet?
Rudi Rienzner: Es gibt deutliche Signale, dass die Politik an einer derartigen Entwicklung nicht interessiert ist. Eines muss man aber schon sagen: Die neue Gesellschaft wird als marktbeherrschender „Leitbetrieb“, wie diese ja auch genannt wurde, kleine und mittlere Unternehmen, Stadtwerke und Genossenschaften, die seit Jahrzehnten erfolgreich wirtschaften und dafür international ausgezeichnet werden, unter erheblichen Druck setzen. Wir betrachten diesen Vorgang mit Sorge, auch weil die neue Gesellschaft auf das Kapital von Investoren angewiesen sein wird, um in Zukunft auf dem italienischen Markt bestehen zu können. Die „heimgeholte“ Energie könnte Südtirol damit „durch die Hintertür“ wieder verlassen.
MS: Welche Zukunft haben denn diese dezentral aufgestellten Südtiroler Energieunternehmen? Wie kann man sie absichern, vielleicht auch mit Hilfe der Autonomiegesetze?
Rudi Rienzner: Nun, es ist ja so, dass wir mittlerweile in ganz Europa um unsere vielseitige Energielandschaft beneidet werden. Unsere dezentral aufgestellten Unternehmen – und viele gibt es seit fast 100 Jahren – haben bewiesen, dass sie überlebensfähig sind. Aber natürlich wäre es sinnvoll, Kompetenzen, die wir heute schon haben, auch aktiv zu nutzen. Das haben wir zum Beispiel – zum Vorteil der Genossenschaften – im neuen Konzessionsgesetz so gemacht.
MS: Wie steht es um die Zukunft des SEV? Man hatte den Eindruck, endlich hört die Politik auf den Verband und nimmt die Verbandsarbeit und die Kontakte nach Brüssel und Rom wahr. Ist mit der Fusion alles hinfällig?
Rudi Rienzner: Das ist zum Glück nicht so, auch wenn uns die Landesregierung in der schwierigen und komplexen Frage der Großkonzessionen nicht gefolgt ist. Wir werden sehr wohl wahrgenommen. Ein Indiz dafür ist, dass unser Vizepräsident Georg Wunderer mit dem ersten Vorsitz des „Energietischs“ beauftragt wurde, den wir lange gefordert haben und an dem übrigens gleich mehrere SEV-Vertreter sitzen.
MS: Hat der Verband tatsächlich eine Stimme in Brüssel? Wurde da je etwas bewirkt, oder wird nur mitgeredet und das Modell Südtirol präsentiert, das womöglich bald Geschichte ist, weil die großen Lobbys in Brüssel offenbar vor allem die Gesetze mitschreiben?
Rudi Rienzner: Zum einen muss man sagen, dass dann, wenn in Brüssel über das Modell Südtirol gesprochen wird, dies ein großer Erfolg und eine Werbung für unser Land ist. Der SEV ist, wie Sie wissen, Mitglied des europäischen Verbands der unabhängigen Strom- und Gasverteilerunternehmen GEODE, der in Brüssel sehr aktiv ist und Vorschläge des SEV in die entsprechenden Positionspapiere einbaut. Ich wurde als Geschäftsführer zu einem der Vizepräsidenten von GEODE gewählt. Dann darf man nicht vergessen, dass die Südtiroler Smart-Grid-Initiative, an der wir beteiligt sind, inzwischen selbst in der Verwaltung der EU-Kommission diskutiert wird und das ist auch ein Erfolg unserer Lobbyarbeit. Und noch etwas: Südtirol gehört zu den führenden Regionen Europas in Bezug auf dezentrale Wärmeversorgung – diese Position soll durch nachhaltige Investitionen in Innovation und neue Technologien gefestigt werden – dank unserer Arbeit inzwischen auch mit EU-Mitteln.
MS: Zum Boden der einheimischen Tatsachen. Ich möchte ein Kraftwerk bauen, helfen Sie mir als Verband dann dabei?
Rudi Rienzner: Natürlich. Ich würde Sie an unser Dienstleistungszentrum und unsere Servicepartner weiterleiten. Da sind Sie dann „in guten Händen“.
MS: Stichwort Gewässerschutz: Welche Gratwanderung muss der SEV bewältigen zwischen Umweltschutz im Sinne des Klimalandes und einer Weichenstellung für einen Kraftwerksbau.
Rudi Rienzner: Man muss einen vernünftigen Kompromiss finden, der alle Interessen berücksichtigt. Ich bin mir sicher, dass uns das auch gelingt.