Im Gespräch mit Madeleine Rohrer
„Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Ausbau der Bahnstrecke zwischen Meran und Bozen auf nach 2032 verschoben wurde.”
Im Winter 2022 von Eva Pföstl
Der größte Umweltverband in Südtirol hat vor einigen Monaten die Meranerin Madeleine Rohrer als Geschäftsführerin an seine Spitze gewählt. Ihr Amt tritt Rohrer in einer wichtigen Umbruchphase an. Natur- und Klimaschutz beschäftigen die Öffentlichkeit so stark wie lange nicht mehr, Fridays for Future haben Zulauf. Zugleich werden die Kontroversen zu verschiedenen Themen wie z. B. Tourismusentwicklung, Transitverkehr, Flugplatz oder Schipistenplan schärfer und es gibt schwierige Zielkonflikte, wie den Ausbau der erneuerbaren Energien und den Natur- und Artenschutz. Wir haben Madeleine Rohrer zu ihren Zielen und Schwerpunkten interviewt.
MS: Frau Rohrer, Sie haben eine langjährige, auch internationale Erfahrung im Bereich Natur- und Umweltschutz und leiten jetzt als Geschäftsführerin den Dachverband für Natur- und Umweltschutz. Wofür steht der Dachverband?
M. Rohrer: Der Dachverband spricht heute für 20 verschiedene Organisationen, darunter Alpenverein und Heimatpflegverband. Über die „Arbeitsgemeinschaft für Vogelkunde und Vogelschutz“ und die „Vereinigung der Südtiroler Biologen“ verleihen wir der Artenvielfalt Gehör. Dank dem „Klima Club Südtirol“ hat der Dachverband auch technologisches Knowhow beim Klimaschutz. Auch der neu gegründete Meraner Verein „AmUm“ möchte sich unserem Netzwerk anschließen. Dazu unterstützen noch zahlreiche Einzelpersonen mit ihrer Mitgliedschaft unsere Arbeit – und ich wünsche mir, dass auch noch viele Meranerinnen und Meraner dem Verband beitreten.
MS: Welche Ziele haben Sie sich als Geschäftsführerin des größten Umweltverbandes Südtirols gesetzt?
M. Rohrer: Die große Aufgabe des Dachverbands ist es, jetzt Kohärenz und Ehrlichkeit in die Diskussion zur nachhaltigen Entwicklung zu bringen. Heute will sich jede Regierung, aber auch die Wirtschaft enkeltauglich darstellen. Das ist dringend notwendig und auch ein Erfolg der Umweltorganisationen. Bei der Umsetzung aber hapert es. Das zeigt unter anderem die Debatte zum Bettenstopp. Jeder will sein Hotel, seinen Gastbetrieb oder seinen Hof am Ende des Tages doch weiter ausbauen. Verzichten soll der Nachbar. Dabei ist allen klar, dass Südtirol mit seinen über 33 Millionen Übernachtungen touristisch sehr stark entwickelt ist. Und weil der Gast von heute sich Attraktionen erwartet, wird zum Beispiel auf Meran 2000 eine Gondelbahn mit Aussichtsplattform gebaut. Der Dachverband für Natur- und Umweltschutz hat daher heute mehr denn je die unbequeme Aufgabe einzufordern, dass diese Pläne und Strategien für eine nachhaltige Entwicklung gemeinsam mit der Bevölkerung ausgearbeitet und so umgesetzt werden, dass wir eine sichere und vielfältige Umwelt hinterlassen. Unsere Kinder und Enkelkinder haben ein Recht darauf.
MS: Was sind die größten Gefahren für diese Ziele?
M. Rohrer: Wir stellen einen Ausschluss der Umweltorganisationen fest. Zum Beispiel sind Umweltorganisationen nicht mehr in den Baukommissionen der Gemeinden vertreten. Oder die neue Geheimhaltungspflicht bei Projekten, die von privaten Investoren und der öffentlichen Hand gemeinsam umgesetzt werden. Die Details zu solchen PPP-Projekten werden zukünftig erst bekannt gemacht, sobald die Landesregierung oder die Gemeinde einen offiziellen Beschluss gefasst hat. Allein für Meran gibt es eine Handvoll solcher Projekte und wir gehen davon aus, dass solche Vorhaben von Privaten häufiger werden, auch allein deshalb, weil die Gelder der öffentlichen Hand immer knapper sind. Diese Geheimhaltungspflicht verhindert eine transparente, öffentliche Diskussion und verunmöglicht, dass sich Bürger einbringen und Umweltorganisationen eine Verbesserung für Landschaft, Klimaschutz und Artenvielfalt bewirken können. Die Investoren haben Interesse daran, ihr Kapital so gewinnbringend wie möglich anzulegen. Hier droht der Natur- und Klimaschutz auf der Strecke zu bleiben.
MS: Welche Auswirkungen haben Krisensituationen?
M. Rohrer: Die unmittelbaren Krisen – dazu gehören die Covidpandemie oder der Krieg Russlands gegen die Ukraine – verdrängen das Artensterben und den Klimawandel aus unserem Bewusstsein und aus unserem Alltag. Es ist verständlich, dass wir letzthin andere unmittelbare Sorgen hatten als das klimaschädliche CO2 zu verringern, indem wir mehr zu Fuß gehen, mehr lokales Obst und Gemüse essen und mit dem Zug in die Ferien fahren. Aber es ist fatal. Uns Menschen rennt die Zeit davon, wie uns der jüngste Bericht des Weltklimarats in aller Deutlichkeit aufzeigt und es fehlt uns an politischer Führung. Der Dachverband muss daher sicherstellen, dass wir weiterhin mutig und zuversichtlich sind und gemeinsam die notwendigen Maßnahmen umsetzen, auch in ungewohnten Allianzen, wie etwa Landwirtschaft und Umweltschutz gemeinsam. Schließlich sind jene Menschen, die mit der Natur arbeiten, am unmittelbarsten betroffen, wenn es zum Beispiel immer weniger Bienen, Schmetterlinge und Vögel gibt. Es findet gerade das größte Massensterben seit dem Ende der Dinosaurier statt!
MS: Welche Weichen müssen in der Politik gestellt werden?
M. Rohrer: Die Politik muss endlich andere Schwerpunkte setzen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Ausbau der Bahnstrecke zwischen Meran und Bozen auf nach 2032 verschoben wurde und für den Bau der Riggertalschleife die Olympischen Spiele notwendig sind. Es dürfte zudem nur mehr öffentliches Geld in jene Projekte fließen, die die Erderwärmung bremsen bzw. die negativen Folgen wie Überschwemmungen auffangen. Die knappen Gelder müssen stattdessen in die energetische Sanierung unserer Häuser investiert werden, weil das Heizen und Kühlen der Gebäude den Klimawandel antreibt und zugleich bei den steigenden Energiekosten uns alle finanziell belastet.
MS: Wie konfrontativ bzw. kooperativ soll der Dachverband mit Ihnen als Geschäftsführerin sein, wenn es darum geht, den Spagat zwischen Realpolitik und Maximalforderungen zu meistern?
M. Rohrer: Südtirol hat, zum Beispiel im Vergleich zu den österreichischen Bundesländern, keine eigene Umweltanwaltschaft. In Südtirol übernimmt der Dachverband als NGO zum Teil die Aufgabe Lobbyist und Anwalt der Natur zu sein, weshalb unsere Tätigkeiten auch durch einen Beitrag des Landes finanziert werden. Das Land müsste Interesse an einem sehr professionellen, mit Personal und Ressourcen gut dotierten Dachverband haben, denn es hat sich gezeigt, dass die Politik allein außerstande ist, den Klimawandel einzubremsen und das Artensterben zu verhindern. Südtirol braucht mehr denn je seine Vereine und die vielen Ehrenamtlichen, die sich für die Natur stark machen.