Inflation: Trendwende steht bevor
Im Herbst 2022 von Eva Pföstl
MS: Die bereits hohe Inflation in Italien ist im September weiter gestiegen, auf 8,9 Prozent. In Südtirol stieg sie sogar auf 10,8 Prozent. Warum liegt sie in Südtirol höher als im restlichen Italien?
G. Lun: Die höhere Inflation in Südtirol ist vor allem auf die enorm gestiegenen Strom- und Gaspreise zurückzuführen sowie – in geringerem Ausmaß – auf den Tourismus bzw. das Gastgewerbe.
MS: Welches Gewicht spielt der Tourismus, das Gastgewerbe?
G. Lun: Der Tourismus bzw. das Gastgewerbe spielt wie auch in den vergangenen Jahren vor allem deshalb eine Rolle, da dieser Bereich im Warenkorb für die Berechnung der Inflation gegenüber dem italienischen Schnitt deutlich höher gewichtet ist. Dies hängt damit zusammen, dass der Warenkorb auf Grundlage der Konsumausgaben innerhalb des Landes gebildet wird und hier auch die Ausgaben der nichtansässigen Personen, also insbesondere der Touristen, berücksichtigt werden. Und touristische Nächtigungen gibt es in Südtirol, in Relation zur Bevölkerung, deutlich mehr als in den anderen Regionen. Einheimische sind also nur zum Teil von dieser Inflationsrate betroffen.
MS: Wo gab es den stärksten Preisanstieg in den letzten Monaten?
G. Lun: Die stärksten Preisanstiege gab es im letzten Jahr im Bereich „Wohnung, Wasser, Energie und Brennstoffe“ und hier insbesondere beim Strom (+ 149,7 %), Gas (+ 106,2 %), Heizöl (+ 43,2 %) sowie bei den Tarifen für Wasser (+ 29,4 %). Aber auch Lebensmittel wie verschiedene Speiseöle (+ 64,5 %) oder Butter (+ 28,9 %) sind deutlich gestiegen. Im Verkehrssektor betrafen die größten Preissteigerungen die Auslandsflüge (+ 118,3 %) sowie das Propan- und Erdgas für Autos (+ 47,5 %).
MS: Wie steht Italien insgesamt da bei der Inflation im europäischen Vergleich?
G. Lun: Im europäischen Vergleich liegt Italien in Bezug auf die Inflationsrate im unteren Drittel und auch etwas unterhalb des EU-Durchschnitts. Vor allem die osteuropäischen Staaten haben mit deutlich höheren Inflationsraten zu kämpfen, insbesondere die baltischen Staaten mit über 20 Prozent. Eine Insel der Glückseligen scheint hingegen die Schweiz zu sein mit einer Inflationsrate von lediglich 3,3 Prozent im September.
MS: Haben die Gelder des EU-Wiederaufbauplans die Inflation angeheizt?
G. Lun: Die Inflation hat ihre Wurzeln in der Covid-19-Krise. Ab Mai 2020 kam es zu einem Aufwärtstrend bei den Rohstoffpreisen, die von den verbesserten Wachstumsaussichten angetrieben wurden. In vielen Ländern wurden überdies Maßnahmenpakte geschnürt, um die Schäden der Pandemie zu minimieren. Das hat sehr viel Geld in das Wirtschaftssystem gepumpt. Während die Nachfrage deshalb rasant anstieg, war das Angebot noch immer knapp. Denn in den Lockdownphasen hatten wichtige Industrien die Produktion reduziert. Hinzu kamen der Mangel an Frachtcontainern im internationalen Handel, Hamsterkäufe sowie Spekulationsgeschäfte. Ende 2021, noch vor dem Beginn des Krieges in der Ukraine, waren die Preise deshalb bereits sehr hoch. Der Ausbruch des Krieges und die Sanktionen haben diese Lage weiter deutlich verschärft.
MS: Die Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung in den verschiedenen Ländern sind unterschiedlich. Welche Rolle spielen die EZB und die EU?
G. Lun: Die EBZ hat die Anleihenkäufe beendet und den Leitzins erhöht. Durch die steigenden Finanzierungskosten wird die Nachfrage gesenkt, was sich auf die Inflationsrate auswirken sollte. Die EU einigte sich darauf, einen Teil der sogenannten „Übergewinne“ der Energieunternehmen abzuschöpfen, um damit die Endverbraucher zu entlasten sowie auf eine „freiwillige gemeinsame Beschaffung von Gas“. Außerdem soll es einen „befristeten dynamischen Preiskorridor für Erdgasgeschäfte“ geben. Diese Maßnahmen sollten in den nächsten Monaten zu einer gewissen Beruhigung an der Preisfront führen.