Margit Klammer
„Als Künstler lebt man sozusagen in einer eigenen Welt“
Im Herbst 2020 von Eva Pföstl
Margit Klammer ist ein fester Bestandteil der Südtiroler Kunstszene. Sie wurde in Innichen geboren, studierte an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien und lebt heute in Meran. Ihre Arbeiten sind vom Wechselspiel zwischen Kunst und Natur gekennzeichnet. Zu ihren bekanntesten Werken zählen u. a. fünf Pavillons und die Voliere in den Gärten von Schloss Trauttmansdorff, die Gestaltung einer Ebene der Parkgarage Art Drive-in den Meraner Thermen, das Corporate Design des Südtiroler Straßendienstes, das Kunstprojekt „Erde Wasser Licht“ in der Oberschule für Landwirtschaft, Schloss Baumgarten in Auer, die Platzgestaltung vor dem Salewa Headquarter in Bozen, für die sie auch einen internationalen Preis in New York erhalten hat, und der große Kubus am Kreisverkehr der Nordwest-Einfahrt der MeBo in Meran. Die „Meraner Tasse“ hat sie 2017 zum Andenken an die 700 Jahr-Feier von Meran entwickelt und hergestellt. In Österreich und vor allem in Innsbruck ist Margit Klammer in Bezug auf den Tiroler Landesumzug 2009 und ihre Rosenkrone bekannt. Neben Ihren Projekten für Kunst am Bau und im öffentlichen Raum arbeitet sie auch im Atelier an dreidimensionalen Objekten wobei dies auch für ihre Bilder aus Kalk- und Lehmputz zutrifft.
MS: Die Corona-Ausnahmesituation hat gezeigt, dass Kunst und Kultur vielleicht nicht systemrelevant, jedoch lebensrelevant sind. Stimmen Sie diesem Satz zu?
M. Klammer: Ich glaube, niemand kann bestreiten, dass Kunst und Kultur auch Umwegrentabilität erwirtschaften. Wie würde denn unsere Welt aussehen, wenn es keine Kreativen gäbe und woher sollte die oft geforderte Innovation kommen? Wenn auch Kulturschaffende in wirtschaftsrelevanten Fragen am wenigsten profitieren, so erfüllen Kunst und Kultur aber auf jeden Fall den Anspruch, geistiges und seelisches Wachstum zu fördern. In einer Welt, in der alles vernetzt ist und voneinander abhängig, ist Kunst also durchaus systemrelevant, denn wenn ein Teil zusammenbricht, hat das auch Folgen für andere. Wenn uns durch Kunst in bestimmten Bereichen auch nur Augenblicke beschert sind, in denen etwas Nicht-Greifbares oder Flüchtiges produziert wird, so sind das doch Erfahrungen, die nachwirken und in denen wir das Leben als etwas Wertvolles empfinden.
MS: Was ist Kunst für Sie persönlich?
M. Klammer: Kunst will bewegen, sie muss berühren, um das Unsichtbare, nicht Greifbare, nicht Fassbare oder Verschwiegene mit Farben, Formen oder Oberflächen zu vermitteln. Nur wenn ein Werk zu berühren vermag, entsteht Beziehung und eine Verbindung zwischen Innen und Außen, zwischen mir und den Anderen. Etwas ist da und etwas ist gegenwärtig. Dies darzustellen, um dadurch in energetisch aufgeladener Weise mit anderen in Kontakt zu treten, ist mein Anliegen.
MS: Wie sind Sie zur Kunst gekommen und welches sind Ihre Schwerpunkte?
M. Klammer: Seit meiner Kindheit habe ich gezeichnet, gemalt, aus allen möglichen Materialien Dinge gestaltet und die unterschiedlichsten Techniken ausprobiert. Nachdem ich dann aber vier Semester Biologie studiert und dabei festgestellt habe, dass ich irgendwann nur mehr chemische Formeln sehen würde, brachte mich der Zufall zur Kunst. Mittlerweile kann ich ja meine beiden Vorlieben, die Natur und die Kunst, in vielen meiner Arbeiten vereinen.
MS: Von wem erhalten Sie Ihre Aufträge?
M. Klammer: Ich habe mich immer gerne mit unterschiedlichen Themen auseinandergesetzt, habe an vielen Wettbewerben teilgenommen und einige auch gewonnen. Daraus ergaben sich auch einzelne Aufträge. Ich arbeite gerne mit Architekten zusammen, weil Kunst für mich immer auch eine Auseinandersetzung mit Ort und Raum ist. Der Ort redet mit und das Umfeld fließt in die Gestaltung mit ein. Ich sehe das nie getrennt. Deshalb erhalte ich ab und zu Aufträge von Menschen, die das Bedürfnis haben, ihren Ort mit etwas zu bereichern, das sich nicht auf den ersten Blick erschließt, um ihn so zu etwas Unvergleichlichem und Besonderem zu machen. Das kann ein geringfügiger Eingriff sein, aber auch zu einem größeren Projekt wachsen.
MS: Welche Aufgabe hat Kunst?
M. Klammer: Wenn Kunst überhaupt eine Aufgabe hat, dann vielleicht die des lebenslangen Lernens, und zwar sei es aus Sicht der Künstler als auch der Betrachter. Man sieht meist nur das, wofür man empfänglich ist. Dennoch bringt Kunst Licht und Farbe in den Alltag. Mir ist es auch wichtig, Beziehungen herzustellen, was manchmal gar nicht so einfach ist. Auf etwas oder jemanden einzugehen und doch die eigene Sichtweise zu behalten kann zur Gratwanderung werden. Aber das ist das Schöne daran. Im Übrigen glaube ich ja ohnehin, dass jeder Mensch den Beruf, den er ausübt, nur deshalb gewählt hat, um etwas zu lernen. Wäre es nicht so, wie langweilig wäre das Leben.
MS: Kunst erscheint vielen Menschen oft unverständlich. Wie sehen Sie dies als aktive Künstlerin?
M. Klammer: Genauso, gleichzeitig finde ich es aber schade, wenn Kunst erklärt werden muss, weil sie dann nicht für sich selber spricht. Gute Kunst spricht Menschen unbewusst an. Man muss sie nicht verstehen. Es gibt in ihr etwas, das uns berührt, im positiven wie im negativen Sinn, sodass wir bereit sind, uns ihr zu widmen. Andererseits wundern wir uns auch nicht, wenn wir wissenschaftliche Abhandlungen nicht völlig verstehen. Dazu möchte ich gerne einen Satz von Gustave Flaubert anfügen: „Je weiter sie fortschreitet, desto mehr wird Kunst zu Wissenschaft und im gleichen Maße wird Wissenschaft zu Kunst und beide werden sich an der Spitze wieder begegnen, nachdem sie sich an der Basis getrennt haben.“
MS: Wo könnte in Zukunft Kulturförderung ansetzen?
M. Klammer: Als Künstler lebt man sozusagen in einer eigenen Welt. Man schöpft nur aus sich selbst, wenngleich alles, was um einen herum passiert, auch das eigene Leben beeinflusst. Ein Buch zu schreiben, eine Skulptur zu erschaffen, ein Bild zu malen, ein Theaterstück zu konzipieren oder Musik zu komponieren, all das sind Dinge, die viel Zeit in Anspruch nehmen. Deshalb würde ich es begrüßen, wenn es für freischaffende Künstler ein Grundeinkommen gäbe. Künstler zu sein, ist nämlich kein Beruf, sondern eine Berufung, durch die man nicht aufhören kann, über das Leben, die Gesellschaft, die Natur oder andere Dinge nachzudenken und im geeigneten Maß zu reagieren. Das ist auch ein Dienst an den Menschen, denen man die eigene Erfahrung zur Verfügung stellt. Natürlich bewegt man sich oft in scheinbar nicht realen Welten, aber sind nicht auch Träume Wirklichkeit?
MS: Ist die Bedeutung von Kunst im Bewusstsein der Bevölkerung in Südtirol verankert?
M. Klammer: Oh ja, das Angebot ist so groß und vielfältig, dass es wohl kaum jemanden gibt, der nicht eine Ausstellung, ein Konzert, eine Lesung, ein Theater, einen Film, ein Museum besucht oder ein liebevoll zubereitetes Essen genossen hat. All das ist Kunst und Kultur, was sonst!?