„Meran war vorbildhaft“
Im Frühling 2016 von Dr. Paul Bertagnolli
Auf dem großen asphaltierten Hof vor dem langgestreckten dunklen Gebäude am Bahnhof von Meran spielen einige junge afrikanische Männer Fußball. Es ist ruhig. Ein hoher Metallzaun schließt den Hof ein und ich frage mich, ob man dieses Gelände wohl betreten darf, denn das Gatter ist verschlossen. Bevor ich läuten kann, rennt auch schon ein schwarzhäutiger junger Mann über den Hof und öffnet lächelnd von innen die Tür. Ich gehe über den Hof, steige die paar Stufen zu einem verandaartigen, langgestreckten Balkon empor, auf dem alte Möbel und allerlei altes Zeug herumsteht. Da kommt auch schon die junge Frau, die diese Unterkunft für Asylsuchende im Auftrag des Vereins Volontarius leitet: Annemarie Volgger, 33. Sie führt mich durch eine andere Tür und enge Gänge in einen Raum mit einem Tisch. Man hört dunkle Männerstimmen, die Wände sind kahl, die Möbel alt. Es gibt zwei Klassenräume, die Bewohner schlafen in Zweibettzimmern. „Wir haben das Beste draus gemacht“, sagt Annemarie Volgger. Sie bewegt sich wie selbstverständlich in dieser Unterkunft und auch sie ist ruhig und gelassen, wie die Stimmung insgesamt in dieser „Struktur“, während sie von ihrer Arbeit hier erzählt. Volgger hat Internationale Entwicklung und Politikwissenschaften in Wien und Pavia studiert und in Deutschland in einer Flüchtlingseinrichtung gearbeitet. Seit Juli 2015 arbeitet sie in der Flüchtlingseinrichtung von Meran, in der 74 junge Männer leben, zum Großteil im Alter zwischen zwanzig und dreißig. Platz gibt es hier für 75 Personen, erzählt Volgger.
Meraner Stadtanzeiger: Aus welchen Ländern kommen die Männer?
Annemarie Volgger: Sie kommen aus Westafrika, Zentralafrika, Pakistan und Bangladesh. Sie fallen alle in die Quote des Innenministeriums, die die Verteilung der Flüchtlinge mit Recht auf Asylantrag regelt.
MS: Und sie alle wollen um politisches Asyl ansuchen?
Annemarie Volgger: Ja. Jeder Mensch hat gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention ein Recht, einen Asylantrag zu stellen. Dieses Ansuchen um politisches Asyl ist das zentrale Thema hier. Alle warten hier auf die Antwort, ob sie Asyl bekommen oder nicht, bisher weiß es noch niemand.
MS: Warum haben die Männer ihr Land verlassen und mit welcher Begründung suchen sie um Asyl an?
Annemarie Volgger: Wir fragen hier nicht direkt danach, warum sie geflüchtet sind. Ob sie ein Recht darauf haben, Asyl zu bekommen, das prüft die entsprechende Kommission in Verona, in der Personen vom UNO-Flüchtlingshilfswerk und von der Polizei sitzen.
MS: Wie kann die Kommission wissen, ob jemand asylberechtigt ist? Verlangt sie, dass die Flüchtlinge entsprechende „Beweise“ vorlegen?
Annemarie Volgger: Die Asylsuchenden erzählen der Kommission ihre Geschichte, warum sie geflüchtet sind. Beweise oder Dokumente müssen nicht vorgelegt werden. Viele haben gar keine Ausweise. Man muss wissen, dass die meisten über Libyen nach Europa kommen. In Libyen wird den Flüchtlingen oft der Ausweis genommen mit dem Druckmittel, dass sie den Ausweis nur zurückbekommen, wenn sie arbeiten. Auch die Schlepper behalten die Dokumente oft oder sie gehen bei der Überfahrt verloren.
MS: Wie helfen Sie den Flüchtlingen hier?
Annemarie Volgger: Unsere Aufgabe ist es, sie beim Asylverfahren zu begleiten. Wir erklären den Bewohnern das Asylverfahren. Sie müssen zuerst den Antrag an die Quästur Bozen stellen. Bis der Antrag bearbeitet und beantwortet wird, vergeht mindestens ein Jahr. Was ihre Lebensgeschichte betrifft, die sie bei der Anhörung vor der Kommission erzählen, da fragen wir nicht direkt nach und versuchen sie hier natürlich auch nicht zu beeinflussen.
MS: Was tun die Flüchtlinge? Arbeiten sie?
Annemarie Volgger: Sie dürfen zwei Monate nach dem ersten Ausstellen des „permesso di soggiorno“ arbeiten, aber dieser permesso braucht auch eine ganze Weile, weil die Anzahl der Flüchtlinge so groß ist. Und auch wenn die Möglichkeit gegeben wäre, zu arbeiten, so ist es doch nicht leicht für sie, eine Arbeit zu finden. Die Arbeit darf natürlich nur für die Dauer der Aufenthaltserlaubnis dauern. So sind es, wenn überhaupt, Gelegenheitsarbeiten über Voucher, die die Flüchtlinge ausführen. Hier in Meran haben wir mit der Gemeinde ein Einvernehmensprotokoll, dass die Flüchtlinge freiwillige Arbeit leisten können, z.B. für die Stadtpolizei, die Gemeinde oder die Bezirksgemeinschaft. Manche Flüchtlinge haben bei Gartenarbeiten oder Umzügen geholfen, meistens ergeben sich die Kontakte über die rund 30 Freiwilligen, die bei uns hier mithelfen. Wir raten den Bewohnern, Arbeiten anzunehmen, aber auch grundsätzlich zu überlegen, was zu einem passt, zu der eigenen Ausbildung – mit Blick auf die Zukunft. Die Bewohner haben ja ganz unterschiedliche Berufe und Ausbildungen: viele haben keine Schulbildung, andere sind Handwerker oder haben die Universität besucht. Die Flüchtlinge sehen die Arbeit als Chance, die Sprache zu lernen und Kontakte zu knüpfen. Sie wollen der Stadt etwas zurückgeben, sie sind sich bewusst, dass sie von Meran gastfreundlich aufgenommen wurden. Bürgermeister Rösch kommt oft vorbei und redet mit den Leuten. Auch daran erkennt man, dass wir von der Gemeinde die volle Unterstützung haben.
MS: Wollen die Flüchtlinge eigentlich in Meran bleiben, sollten sie Asyl erhalten?
Annemarie Volgger: Die meisten wollen in Meran bleiben. Es gefällt ihnen gut hier. Sie finden die Leute nett und haben keine negativen Erfahrungen gemacht. Nur vereinzelt sagen sie oft, dass sie sich nicht so gut angenommen fühlen. Insgesamt fühlen sie sich sehr wohl. Sie sehen, dass Meran vorbildhaft reagiert hat.
MS: Sie als Hausleitung unterstützen den Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung.
Annemarie Volgger: Ja. Wir machen ganz viel mit Schulen, so spielen die Flüchtlinge zum Beispiel mit Schülern der WFO Meran ein Fußballturnier oder mit dem Gymme haben wir Stadtführungen organisiert oder ein Sprachencafé. Wir arbeiten auch mit dem Jugendzentrum und dem Ost-West-Club zusammen. Viele haben Freunde auch außerhalb ganz eigenständig gefunden, zum Beispiel über den Sport, andere über Kontakte unserer freiwilligen Helfer.