“Moderner Heimatschutz ist eine Frage der Kultur, nicht der bloßen Liebhaberei”
Im Winter 2019 von Eva Pföstl
MS: Alte Gasthäuser sind wertvolle Zeitzeugen aus früheren Bauepochen. Wie gefällt Ihnen das renovierte Gasthaus „Rössl bianco“?
J. Ortner: Das Weiße Rössl gefällt mir ausgesprochen gut, es ist wohl die gelungenste Renovierung eines Laubenhauses in den letzten Jahrzehnten! Der Treppenaufgang, der verwinkelte Zugang zu den Gaststuben, die erhaltene Rußkuchl, die Ferienzimmer, die sich behutsam in die alten Gemäuer einfügen – all dies spricht für die Sensibilität des Projektanten und des Bauherrn. Es wurde nicht übersaniert, die Patina des alten Gasthauses ist erhalten – und dies ist der größte Vorzug des Weißen Rössls: Man kann gelebte Gasthausgeschichte an den Wänden ablesen, z. B. wenn die Beleuchtungen von den gestrickten Leitungen sichtbar bleiben oder anhand einer alten Preistafel aus den 1960er-Jahren. Am Laubenhaus Nr. 357 wurde organisch weitergebaut.
MS: Lange Zeit war das Verständnis klein, wenn aus Heimatschutzkreisen auf den besonderen Wert von historischen Gastbetrieben hingewiesen wurde. Hat ein Gesinnungswandel stattgefunden?
J. Ortner: Das Lamentieren über das Gasthaussterben hilft uns ja nicht wirklich weiter. Dass alte Gasthäuser den Meranerinnen und Meranern ein Anliegen sind, das hörte man heraus aus den vielen „wie schade“, „ach bedauerlich“, „na tian de iaz aa zua“? Wo sind sie geblieben: die Terlaner Weinstube, die Goldene Rose, das Batzenhäusl? Ein bisschen waren aber auch die Meraner selber schuld: Man muss halt auch in den Stuben einkehren, auf ein zwei Glasln in froher Runde ... Es hilft nicht, den getäfelten Stuben nachzuweinen und dann ins designte Schicki-Micki-Lokal ums Eck zu gehen. In Bozen und Brixen hat man es anscheinend besser verstanden, historische Gaststuben ins Heute herüberzuretten. Dabei müssen Traditionshäuser keine „Kaschemmen“ sein. Man kann alte Gemäuer und gehobene Ansprüche wunderbar kombinieren, das Weiße Rössl macht es ja vor. Eins wurde beim Weißen Rössl ja vermieden: dass man sich anstatt in einem Gasthaus in einem Museum wiederfindet. Nutzung geht vor Musealisierung – ein Kernanliegen des modernen Heimatschutzes.
MS: Welche Schwerpunkte setzt der Heimatschutz für Meran?
J. Ortner: Der Heimatschutz in Tirol hat seine Wiege in Meran, denn bereits 1908 wurde die Ortsgruppe des Bundes für Heimatschutz Meran von engagierten Meraner Bürgerinnen und Bürgern gegründet. Damals wurde mittelalterliche Bausubstanz der modernen Zeit geopfert: das Ultner Tor, zentrale Abschnitte der Lauben wie das Thalguterhaus. Der Abriss der Landesfürstlichen Burg und des Vinschger Tors konnte zum Glück verhindert werden. Wir Meraner Heimatschützer/-innen stehen nach wie vor dafür ein, das gewachsene Stadtbild Merans zu erforschen, zu dokumentieren und in der Folge zu schützen. Das Stadtbild ist gebautes Erbe, bestehend aus Straßenzügen, Plätzen und Gärten. Dabei schützen wir nicht Altes nur weil es alt ist, sondern weil es einen besonderen künstlerischen, architektonischen und kulturhistorischen Wert aufweist. Wir begrüßen unbedingt qualitätsvolle zeitgenössische Architektur, insofern sie Rücksicht auf Gewachsenes nimmt und sich in das Umfeld einfügt. Moderner Heimatschutz ist eine Frage der Kultur, nicht der bloßen Liebhaberei.
MS: Warum kann man eine anspruchsvolle Entwicklung der Stadt nicht alleine der Gemeinde und Privaten überlassen?
J. Ortner: Die Gemeinde wäre an und für sich schon die geeignete Institution, denn per definitionem vertritt sie die „res publica“, also das Allgemeininteresse. Worin besteht dieses? Im Wohlfühlen im öffentlichen Raum, in der Schaffung von Plätzen, wo sich die Bevölkerung aufgehoben fühlt, dazu zählen Grünzonen, Brunnen, Bäume, Spielplätze, sonstige Freiräume ... Allgemeininteressen prallen jedoch allzu oft sehr, sehr hart auf Partikularinteressen. Private Bauherren haben meist das eine Ziel: Gewinnmaximierung – und schon geht mangelhafte architektonische Qualität einher mit dem Abriss qualitätsvoller Bauten. Zurzeit können Sie in Meran beobachten, wie gute Villenarchitektur aus den 1930er-Jahren abgebrochen wird, um monotonen gesichtslosen Wohnanlagen zu weichen: mit Rollrasen, gähnenden Garageneinfahrten, alles eingerahmt von den obligaten Laurocerasus-Hecken und dem Mäuerchen aus Sichtbeton. Dass Meran dabei sein gebautes Gesicht verliert, interessiert viele Bauherren und ihre Vollstrecker, die Baufirmen, herzlich wenig.
MS: Wie wird der Heimatschutz in die planerische Gestaltung der Stadt einbezogen?
J. Ortner: Der Heimatschutz wird von der Stadtregierung durchaus um Rat und Meinung gebeten. Ob seine Vorschläge von der Stadtregierung auch beherzigt werden, steht auf einem anderen Blatt Papier. Unsere Vorschläge etwa für eine strengere Bauordnung zum Schutz der Gärten gehen sehr weit – und der politische Wille ist oft nicht ausgeprägt genug, sich nachdrücklich dafür einzusetzen.
MS: Stellt die Gemeinde Meran ausreichende Mittel für den Heimatschutz zur Verfügung?
J. Ortner: Für die Arbeit des Heimatschutzvereins gibt es jährlich einen öffentlichen Beitrag von 1.000 Euro. Für unsere jährlichen Aktivitäten wie Fortbildungen, Museumsbesuche, Ganztagesausflüge oder die Hauptversammlungen reicht dies vollkommen aus. Sollten wir jedoch Publikationen (Broschüren, Kalender) oder andere außergewöhnliche Projekte einreichen, kann natürlich um einen außerordentlichen Beitrag angesucht werden. Der bürokratische Aufwand hält sich zum Glück noch in Grenzen.