Was sagt uns die Nase, was unsere Augen nicht sehen?
Im Frühling 2021 von Eva Pföstl
Johannes Frasnelli, Jahrgang 1974, ist Mediziner und Neurowissenschaftler. Nach dem Studium in Wien und Forschungsaufenthalten in Dresden, Philadelphia und Montréal ging der Meraner nach Kanada, wo er seit 2014 als Professor der Universität „Québec à Trois-Rivières“ Gerüche erforscht. Er hat darüber ein anschauliches Buch geschrieben. „Wir riechen besser als wir denken“ wurde als Wissenschaftsbuch des Jahres 2020 in der Kategorie Medizin/Biologie ausgezeichnet.
Wir haben Johannes Frasnelli um ein schriftliches Interview gebeten.
MS: Eine erhebliche Einschränkung von Covid-19 ist der Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn. Wie verändert Covid-19 das Riechen und Schmecken und woran könnte das liegen?
J. Frasnelli: Wir wissen jetzt sehr viel besser, wie das Virus den Geruchssinn beeinträchtigt. Damit das Virus in eine Zelle eindringen kann, muss die Zelle auf ihrer Oberfläche ein ganz bestimmtes Protein tragen, das Protein ACE2. Man findet solche Zellen in vielen verschiedenen Geweben, wie der Lunge, in den Gefäßen, im Magen-Darm-Trakt, aber eben auch in bestimmten Zellen der Riechschleimhaut in der Nase. Wenn die Viren erst einmal in diese Zellen eingedrungen sind, dann können die Zellen nicht mehr richtig arbeiten und das betroffene Gewebe funktioniert nicht mehr richtig. Je nachdem welches Gewebe besonders betroffen ist, gibt es dann Atmungssymptome, Blutungen, gastrointestinale Symptome oder eben eine Riechstörung. Weil die Schleimhaut der Nase sehr exponiert ist – das Virus befindet sich ja in Tröpfchen der eingeatmeten Luft – haben sehr viele Covid-Patienten Riechstörungen.
MS: Wie soll man vorgehen, wenn plötzlich Riechstörungen auftreten?
J. Frasnelli: Wenn man jetzt eine plötzliche auftretende Riechstörung hat, ohne dass die Nase verstopft ist: sich testen lassen und sich isolieren.
MS: Was bedeutet ein Verlust des Geruchs- oder Geschmackssinns generell für die Betroffenen?
J. Frasnelli: Zum ersten erkennt man als Betroffener gewisse Gefahren wie Rauch, Gas und verdorbene Lebensmittel nicht mehr, man muss also sehr aufpassen. Zum zweiten kommt es zu einer Beeinträchtigung beim Essen und Trinken: Alles schmeckt nach Karton. Dadurch kann es zu Fehlernährung kommen. Zum dritten kann man Körpergerüche, weder die eigenen noch die anderer nicht mehr erfahren. Das klingt erst mal lustig, kann aber sehr belastend sein, wenn man z.B. nicht weiß, ob man schweißelt oder nicht. Man erkennt auch den Partner, die Kinder, das Zuhause nicht mehr über den Geruch. All das kann sehr belastend sein.
MS: Wie funktioniert eigentlich das Riechen?
J. Frasnelli: Gerüche werden durch Duftstoffe ausgelöst. Diese Duftstoffe gelangen mit der eingeatmeten Luft in die Nase und kommen dort mit ganz speziellen Nervenzellen in Kontakt, die auf sie ansprechen. Diese Zellen leiten die Information ins Gehirn weiter, und wir nehmen den Geruch wahr.
MS: Hunde werden jetzt trainiert, um Covid-Infizierte auszuschnüffeln. Können auch wir Menschen das Riechen trainieren?
J. Frasnelli: Ich bin noch etwas skeptisch, dass die Hunde tatsächlich spezifisch Covid erkennen. Als Mensch würde ich mich auf jeden Fall von einem Infizierten fernhalten. Mit seinem Körpergeruch können ja auch Viren in meinen Körper gelangen.
MS: Riechen wir denn alle dasselbe oder nehmen wir mit jeder Riechzelle auch etwas Unterschiedliches wahr?
J. Frasnelli: Weil wir nicht alle dieselben Riechrezeptoren haben, riecht für jeden von uns die Welt ein bisschen anders.
MS: Warum riechen manche Dinge gut, andere nicht?
J. Frasnelli: Das wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst. Zuerst die chemische Zusammensetzung: Schwefelhaltige Verbindungen riechen grundsätzlich unangenehmer als benzolhaltige Verbindungen. Dann kommt es auf die Konzentration an. Auch der beste Duft wird unangenehm, wenn er zu stark konzentriert wird, aber auch ein Gestank kann angenehm sein, wenn er sehr stark verdünnt wird. Als nächstes unsere Vorerfahrung: Wenn uns einmal von Meeresfrüchten schlecht geworden ist, dann wird dieser Geruch sehr unangenehm sein, ob verdünnt oder nicht. Und schließlich unsere Erwartungshaltung: Wenn ich denselben Duftstoff als „Rosenwasser“ oder als „Phenylethylalkohol“ anbiete, wird er im ersten Fall angenehm blumig und im zweiten Fall penetrant chemisch riechen, obwohl es sich um dieselbe Substanz handelt.
MS: In unserer Sprache gibt es viele Assoziationen in Bezug auf den Geruch. „Das stinkt mir“ oder „Ich kann den nicht riechen“ sind nur zwei Beispiele. Ist da was dran?
J. Frasnelli: Sicher. Unser Geruchssinn beeinflusst uns weit mehr, als wir gemeinhin annehmen.
MS: Warum ist es so wichtig, dass wir den eigenen Partner riechen können?
J. Frasnelli: Gerade in zwischenmenschlichen Beziehungen spielt der Geruchssinn eine ungemein wichtige Rolle, egal ob es sich um Sexualität oder um die Beziehung von Eltern mit ihren Kindern handelt.
MS: Dass Düfte uns prägen und beeinflussen hat auch die Wirtschaft längst erkannt und setzt auf Marketing für alle Sinne. Dazu zählt, dass man seit Jahren Produkte, Hotels und Kaufzentren beduftet. Was halten Sie davon, und was macht diese „Duftverschmutzung“ mit uns?
J. Frasnelli: Wir sind sowieso ständig von Gerüchen umgeben. Ich glaube, dass Duftmarketing ein zweischneidiges Schwert ist. Wenn die Gerüche zu stark sind, werden die potentiellen Kunden eher zurückweichen.
MS: Kann man sich eigentlich vor Gerüchen schützen?
J. Frasnelli: Man kann sich die Nase zuhalten.
MS: Stimmt es, dass Riechstörungen im Alter zunehmen? Was kann man dagegen machen?
J. Frasnelli: Im höheren Alter kommen mehrere Faktoren zusammen, die bedingen, dass der Geruchssinn schlechter wird. Wir haben weniger Rezeptorzellen und auch das Gehirn funktioniert nicht mehr so gut. Wenn man aber den Geruchssinn immer verwendet hat und wenn das Gehirn gesund ist, dann kann man auch im hohen Alter noch gut riechen.
MS: Woran forschen Sie zur Zeit?
J. Frasnelli: Neben Covid versuchen wir zu verstehen, ob Riechtests Aussagen über die Gesundheit des Gehirns erlauben, ob wir mit den Tests erkennen können, wer später an Alzheimer oder Parkinson erkranken wird. Und außerdem wollen wir verstehen, was ein Riechtraining mit dem Gehirn macht, bei Patienten mit Riechstörung, bei jungen Menschen und bei Sommeliers.