Meraner Frauen von gestern und heute
Paula Wiesinger und Angelika Rainer
Im Frühling 2022 von Sarah Trevisiol
Die gebürtige Meranerin Angelika Rainer (Jahrgang 1986) ist dreifache Weltmeisterin und zweifache Vizeweltmeisterin im Eisklettern. Sie ist bisher die einzige Frau weltweit, der ein Aufstieg mit Grad 15 in der technischen Disziplin Drytooling gelingt. Angelika zählt heute zu den internationalen Spitzenkletterinnen, die sowohl auf Fels als auch auf Eis geschmeidig und rasant Berggipfel aller Art erklimmt. Ihr großes Vorbild: Paola Wiesinger Steger, die Bozner Star-Bergsteigerin und Schifahrerin der 1920/30er-Jahre. Die beiden Frauen haben vieles gemeinsam, dennoch haben sich die Zeiten geändert und bieten den heutigen Sportlerinnen neue Freiheiten, die anfangs undenklich waren.
Lange Zeit wurde den Frauen Europas der Zugang zu den Bergen verwehrt. Man warf ihnen vor, nicht genügend Biss und Stärke zu haben, verspottete sie als vermännlichte „Bergweiber“ oder versuchte ihnen einzureden, das Wandern sei schädlich für die weibliche Gesundheit und behindere den eigentlichen Lebenszweck einer Frau: das Gebären von Kindern. Frauen mussten sich, neben Spott und Ablehnung, auch an eine einengende Kleidung anpassen. Erst um 1900 trauten sich die ersten Frauen in Hosen zu wandern. Bis dahin war das sittlich undenkbar und verboten. Frauen bestiegen Gipfel in weiten Reifröcken (Krinolinen), die aus vierzig Metern Stoff bestanden und bei Regen und Schnee zu schweren Lasten wurden. Bei Überhängen oder Stürmen konnte die Bekleidung sogar lebensbedrohend werden. Waren die Frauen nicht die Letzten in der Seilschaft, warfen Männer auch gern mal einen Blick unter die Röcke.
Das weibliche Erklimmen des Alpenraums ging Hand in Hand mit der Befreiung aus Korsett und Krinoline und ermöglichte es zunächst den Sportlerinnen (ab den 1960er-Jahren dann auch anderen Frauen), Hosen zu tragen und somit eine neue Bewegungsfreiheit zu erobern. Paola Wiesinger war eine der ersten lokalen Frauen, die Wanderhosen trug. Ihr gelangen zahlreiche Erstbesteigungen in den Dolomiten, einige davon sogar als Seilerste – eine Position, die gewöhnlich nur Männern zustand. Hans Steger ermöglichte es seiner willensstarken Lebenspartnerin mehrmals, einen Gipfel als Seilerste zu besteigen. Dies war jedoch im Allgemeinen nicht die Regel. Ein Großteil der ersten Alpinistinnen durfte an Touren nur teilnehmen, weil sie Partnerinnen oder Schwestern von wichtigen Bergsteigern waren.
Angelika Rainer war niemals auf einen Mann angewiesen. Sie konnte immer nach Lust und Laune als Seilerste oder Seilletzte aufsteigen, ob mit Männern oder Frauen. Sie brauchte keine männliche Begleitung bei den Reisen und konnte ständig auf eine angemessene Sportbekleidung zählen. Dies ist für viele Frauen nicht der Fall. So berichtet Angelika z.B. von zeitgenössischen iranischen Sportlerinnen, die immer noch auf Begleitung angewiesen sind, das Land nicht verlassen dürfen und über keine ideale Kleidung verfügen. „Ich hatte ein Leben lang den Luxus, all das zu machen, was mir gefällt und mich erfüllt. Es war meine Mutter, die meine Begeisterung für den Berg erweckte. Sie hat mich immer angespornt. Wenn ich als schüchternes Kind meinte, ich würde es nicht schaffen, sagte sie zu mir: Du musst ja nicht die beste werden, aber versuchen kannst du alles!“
Die Beste ist Angelika dann tatsächlich in diversen Disziplinen des Klettersports geworden. Ihre alleinerziehende Mutter hat alles getan, um ihre Leidenschaft für den Sport anzukurbeln. Selbst durfte sie im Kindesalter keinen Sport ausüben. Sie wurde von Angelikas Großmutter, der das Recht auf ein Universitätsstudium verwehrt blieb, aufgefordert, ein Studium zu absolvieren anstatt herumzutoben. Angelikas Mutter spürte den Drang, die Bergwelt zu erklimmen und schrieb sich deswegen in ihren 20ern eigenständig beim Alpenverein ein. Ihre Tochter nahm sie als Kind einfach mit auf die Berge. Angelikas Sportkarriere begann dann mit der Eröffnung der Kletterhalle in Meran, als sie 12 Jahre jung war.