Meraner Frauen von gestern und heute
Clara Schreiber und Clara Salus
Im Frühling 2022 von Sarah Trevisiol
Meran wurde im 19. Jahrhundert als berühmter Kurort von zahlreichen Gästen aus aller Welt besucht. Adelige, bürgerliche und selbst kaiserliche Familien stürmten hierher, um die gute Luft und die idyllische Berglandschaft zu genießen. Immer mehr prominente Gäste besuchten die Stadt, darunter auch viele jüdische Kurgäste wie Franz Kafka, Perez Smolenskin, Chaim Weizmann, Daniel Spitzer oder Stefan Zweig.
Sabine Mayr hat für ihre Bücher „Von Heinrich Heine bis David Vogel. Das andere Meran aus jüdischer Perspektive“ (Studienverlag, 2019) und „Mörderische Heimat. Verdrängte Lebensgeschichten jüdischer Familien in Bozen und Meran“ (Edition Raetia, 2015), letzteres mit Koautor Joachim Innerhofer verfasst, über jüdische Bewohner/-innen und Gäste Merans recherchiert. In ihren Werken erläutert sie, dass erste Zeugnisse jüdischen Lebens in Tirol zwar auf das Mittelalter zurückführen, die jüdische Gemeinde Merans jedoch im boomenden 19. Jahrhundert beachtlich wuchs, dank der vielen jüdischen Restaurant- und Pensionsbetreiber/-innen, Kaufleute, Fabrikanten, Ärzte und Rechtsanwälte. Mit Hilfe zahlreicher Spenden dieser Familien und wohlhabender jüdischer Kurgäste konnte im Jahre 1893 in der Villa Julius Steiner in Untermais ein Sanatorium für mittellose jüdische Patienten und Patientinnen eröffnet werden, das 1909 mit gleich lukrierten Geldern zum heute noch bestehenden, imposanten Bau erweitert wurde, der in der Schillerstraße neben der Synagoge bewundert werden kann.
Daneben gab es weitere von jüdischen Ärzten geleitete Kureinrichtungen. So leitete etwa Josef Schreiber, der in Bad Aussee das erste Sanatorium Österreichs gegründet hatte, ab 1890 in Meran/Obermais die Kuranstalt Hygiea, im Gebäude des heutigen Altenheims Eden, wo er mit seiner Frau Clara den größten Teil des Jahres verbrachte. Zuvor
hatte die Familie Schreiber im Steinachviertel gelebt.
Clara Schreiber war eine beeindruckende Persönlichkeit, sie führte nämlich einen literarischen Salon. Ihr Mann Josef unterstütze stets ihr künstlerisches und soziales Engagement, wie Sabine Mayr unterstreicht: „Im Vergleich zu anderen Glaubensgemeinschaften war das jüdische Denken damals liberaler, wegen eines frühen Zugangs zu Bildung, Schrift und Lektüren, aber in religiösen Familien auch, da jüdische Männer viel Zeit fürs Beten aufbrachten und Frauen somit den Lebensunterhalt mitbestritten.“ So waren jüdische Frauen in einigen Sparten schon früh erwerbstätig, während es den Frauen katholischer wohlhabender Kreise untersagt war, einer bezahlten Arbeit nachzugehen. Jüdische Frauen genossen vermehrt Freiräume und Selbsterfüllungsmöglichkeiten, so auch Clara Schreiber, die sich bereits in Wien, dank ihres literarischen Schaffens, einen Namen und einige Groschen verdient hatte. Besonders am Herzen lag ihr die Gleichstellung der Frau, deshalb versuchte sie sich selbst in der kleinen Provinzstadt Meran für mehr Beteiligung der Frauen einzusetzen. 1890 trug sie vor einem gefüllten Saal des Kurhauses Passagen aus ihrem neusten Werk „Eva. Naturalistische Studien einer Idealistin“ vor. Clara schlug vor, in Europa Frauen die Möglichkeit zu gewähren, nicht nur als Krankenpflegerinnen zu arbeiten, sondern auch der ärztlichen Profession nachzugehen. Die 3.000 Ärztinnen, die damals in den USA bereits arbeiteten, seien Bestätigung genug dafür, dass Frauen genauso Medizin erlernen und praktizieren können. Zudem wären glückliche und erfüllte Frauen tatkräftiger und ein gutes Beispiel für ihre Kinder. Nach der Lesung veröffentlichte die Zeitung „Der Burggräfler“ antisemitische Beschimpfungen, u.a. dass sich ein „jüdisches Weib“ traue, sich mit solchen Inhalten zu Wort zu melden. Clara publizierte ihr Werk in Dresden und Leipzig, veröffentlichte zusätzliche Schriften und wirkte sowohl in intellektuellen Kreisen als auch in ihren Sanatorien weiter. Ihre Tochter, der sie all ihre Ideen und Sichtweisen weitervermittelt hatte, betätigte sich bald danach als Schriftstellerin und Abgeordnete der SPD im deutschen Reichstag.
Im Jahre 1909 kam Clara Salus nach Meran. Sie war Oberkrankenschwester des neu ausgebauten jüdischen Sanatoriums. 1901 war daneben die erste Synagoge in ganz Tirol erbaut worden. Dreißig Jahre lang wirkte Clara Salus, die über keinerlei Wohlstand verfügte, sondern vielmehr über Berufserfahrung und Willenskraft, im jüdischen Sanatorium, das aufgrund der Spenden aus aller Welt international bekannt war.