Sehnsuchtsorte – vom Traum zur Realität
Im Frühling 2022 von Dr. Luis Fuchs
Auf unserem Planeten gibt es unzählige schöne Gegenden. Also reisen viele Menschen dorthin, um genau diese Örtlichkeiten mit dem Mobiltelefon festzuhalten, so wie es bisher Millionen Touristen gemacht haben. Wird so eine Gegend als „magischer Ort“ ausgewiesen, sollten wir ihn für den Rest unseres Lebens meiden, legt uns die Süddeutsche Zeitung nahe. Südlich von Siena in Richtung San Quirico gibt es auf einem Hügel eine Gruppe Zypressen, die uns als Blickfang auf Kalendern und Plakaten vertraut sind. An der Straße vor dem Zypressenhügel hat man einen großen Parkplatz angelegt, damit die Touristen vom Autofenster aus das idyllische Motiv digital festhalten können.
Der Gardasee zieht Touristen aus aller Welt magisch an. Im Laufe der Jahrhunderte hat der See als „Sehnsuchtsort“ in Dichtung und Malerei Eingang gefunden. Hier fühlte sich bereits Catull „von Sorgen frei“; Thomas Mann ruderte im erholsamen „Sonnenfrieden“. In der „Italienischen Reise“ notierte Goethe die Begeisterung beim ersten Anblick des Gardasees: „… ein köstliches Schauspiel, der Gardasee.“ In den 50er- und 60er-Jahren setzte in der Region um den Gardasee eine Welle touristischer Erschließung ein; heute klagt man mancherorts schon über einen „Übertourismus“. Trotzdem ist letzthin der „Sehnsuchtsort“ von Südtiroler Hoteliers und Villenbesitzern ins Visier gefasst worden; die vielen Baukräne am See zeugen von reger Südtiroler Bautätigkeit, weiß Norbert Dall´Ò im Wochenmagazin ff zu berichten.
Ein „Sehnsuchtsort“ ist ein Platz auf der Welt, an dem wir dem Alltag entfliehen können, an den wir uns in stressigen Zeiten hinträumen können. Vor Jahren wollte der „Deutsche Sprachrat“ feststellen, was wohl das schönste deutsche Wort ist. Aus über 20.000 Vorschlägen nahm „Sehnsucht“ unter den meistgenannten zehn Wörtern den dritten Rang ein. Das Wort klingt nicht nur schön, sondern beschreibt auch ein Gefühl, welches sowohl Freude als auch Trauer ausdrückt. „Sehnsucht ist eine natürliche Droge“, definiert der deutsche Dramaturg Stefan Schütz das schöne Wort. Auf ähnliche Weise beschreibt auch der Ausdruck „Fernweh“ die menschliche Sehnsucht, vertraute Verhältnisse zu verlassen und sich die weite Welt zu erschließen.
Der Pragser Wildsee, ein Sehnsuchtsort für italienische Touristen, mittlerweile zu einem unattraktiven Ort geworden, hat heuer bereits für Schlagzeilen gesorgt. Vierzehn Menschen sind an den Osterfeiertagen durch das Eis in das kalte Wasser eingebrochen. Es waren Touristen, denen der Respekt vor der Natur abhandengekommen ist, welche die Gefahren eines zugefrorenen Sees nicht einzuschätzen vermögen. Auch Respekt vor Verboten scheint nicht mehr zu deren Verhaltensregeln zu zählen.