Der Anbrunzmensch
Im Herbst 2021 von Robert Asam
Sie haben schon richtig gelesen: Anbrunzmensch! Das ist ein Mensch, bei dem man seinem Ärger freien Lauf lassen kann, dem man die Meinung geigt, dem man vorjammern kann. Und hinterher ist man erleichtert, wie das halt so ist, wenn man dem Drang endlich nachgeben konnte. Der Anbrunzmensch ist der Sündenbock. Aber Sündenbock klingt im Vergleich dazu abstrakt und langweilig. Wir Bürgerinnen und Bürger der Kurstadt haben nun seit gut einem Jahr keinen Menschen zum Anbrunzen mehr. Vielleicht sind wir deshalb in Meran so grantig unterwegs. Kein Anbrunzmensch, dazu noch Covid! Und jetzt hat uns die Wildbachverbauung den Elisabethpark zugesperrt. Was kommt als nächstes? Eine Baustelle im Kapuzinergarten? Alles zusammen ist halt schwer verdaulich. Und der Stuhl des Anbrunzmenschen im Rathaus ist verwaist. In Zeiten, in denen man für alles einen Schuldigen oder eine Schuldige braucht, weil Eigenverantwortung nicht angesagt ist, kommt dem Anbrunzmenschen eine enorme Bedeutung zu. So gesehen ist es gut, dass wir wieder wählen dürfen. Dann haben wir wieder einen. Oder eine. Nein, die Damen mögen es mir nachsehen. In meiner Vorstellung ist der Anbrunzmensch männlich, Gleichberechtigung hin oder her. Diese Rolle will ich keiner Frau zumuten. Und – ganz unter uns – es war tatsächlich ein Mann, der gesagt hat, dass Meran einen Anbrunzmenschen dringend nötig hätte. Er sagte es mit dem ihm eigenen verschmitzten Lächeln. Und so wie er es sagte, schien er zu wissen, wovon er sprach.