Der Nachbar kontrolliert, der Präsident schweigt
Im Winter 2022 von Robert Asam
Der Tageszeitung „Alto Adige“ kann man nun wirklich nicht vorwerfen, der neuen Stadtregierung überaus kritisch gegenüberzustehen. Und doch schlug sie unlängst Alarm: „Raffica di furti nei garage: bici sparite e auto saccheggiate“ konnte man lesen. Wenige Tage zuvor hatten Schlägereien unter Jugendlichen die Schlagzeilen beherrscht. Kann es sein, dass sich negative Entwicklungen in unserer Gesellschaft ohne Rücksicht auf parteipolitisch-ideologische Gegebenheiten ausbreiten? Das würde bedeuten, dem Schläger X, der Jugendbande Y und dem Einbrecher Z ist es wurscht, wer gerade im Rathaus auf dem Bürgermeistersessel sitzt. Wenn also ein Problem nicht so schnell gelöst wird, wie das jene gerne hätten, die es nicht lösen müssen, muss das nicht immer die Schuld derjenigen sein, die gerade die politische Verantwortung für das Gemeinwohl tragen.
Der Bürgermeister für alle will mit Nachbarschaftskontrolle gegensteuern. Es soll ein Verein gegründet werden und dessen Mitglieder ausgebildet. Vielleicht sollten wir die Ausbildung unseren chinesischen Mitbürgern übertragen. Einige werden sich bestimmt an den Blockwart in der Heimat erinnern und könnten diese Erfahrung jetzt nutzen. Was mich bei dieser Geschichte angenehm überrascht hat, ist das Schweigen des Gemeinderatspräsidenten. Es ist gar nicht so lange her, dass sich nach jeder Schlägerei in Meran, nach jeder Einbruchserie ein Gemeinderat der Südtiroler
Freiheit zu Wort meldete, ein Sicherheitsproblem ortete, dem grünen Bürgerlistenbürgermeister Untätigkeit vorwarf und die mangelnde Zusammenarbeit der Polizeistreitkräfte kritisierte. Zur Erinnerung: Es handelt sich um denselben Mann, der jetzt auf dem Stuhl des Ratspräsidenten sitzt und vornehme Zurückhaltung übt. Gut so. Dort oben hat man offensichtlich einen besseren Überblick als im Andreas-Hofer-Schützengraben.
So gesehen hat es sein Gutes, wenn jemand – ohne eigenes Zutun, aber immerhin – die Perspektive wechselt.