Bedrohtes Kulturgut: Die Gampenpassstraße
Im Winter 2018 von Eva Pföstl
Straßen sind weit mehr als Verkehrswege. Sie sind Zeitzeugen, die eine Epoche reflektieren. Straßen legen oft ein eindrückliches Zeugnis historischer Bautechniken ab. Gleichzeitig erlaubt die Geschichte einer Verkehrsverbindung Rückschlüsse auf vergangene Wirtschafts- und Lebensverhältnisse. Straßen sind also wertvolle Kulturgüter, die es zu schützen und in ihrer Substanz zu erhalten gilt. Zu dieser Kategorie gehört auch die Gampenstraße, die in der Zeit von 1935 bis 1939 entstand und die gemäß des großen Kunsthistorikers Josef Weingartner „jede andere Straße an Romantik weit hinter sich lässt“. Entlang der 32 km von Lana bis Fondo entstanden eine Reihe von sehr charakteristischen Bauelementen:
imposante Brücken, Viadukte, Tunnels, typische Straßenbegrenzungen, Straßenwärterhäuser in lokalem Stil, Brunnen und Denkmäler. Seit den 70er-Jahren und verstärkt ab der Übernahme der Straße durch das Land Südtirol Ende der 90er-Jahre werden diese Elemente schrittweise entfernt, ersetzt oder sind dem Verfall preisgegeben. Somit kommt dieser faszinierenden Passstraße schrittweise die historische Architektur abhanden.
Der Beginn
Der Weg über den Gampenpass spielte in historischer Zeit stets eine wichtige Rolle. Die Etrusker benutzten diesen Weg bereits im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. und er behielt seine Bedeutung auch in römischer, langobardischer und fränkischer Zeit. Die Errichtung wohldotierter Hospize in Unsere Liebe Frau im Walde in den Jahren um 1184 oder die ebenfalls bereits im Mittelalter errichtete landesfürstliche Zolleinhebestelle bezeugen die Wichtigkeit dieser Transitstrecke im Mittelalter, welche nicht nur im Dienste der Kreuzzüge stand, sondern maßgeblich dem Warenverkehr diente.
Die älteste Beschreibung des Gampenpasses in der Neuzeit stammt aus dem Jahre 1725 und wurde im Auftrag der Tiroler Hofkammer von Amandus Platter verfasst. Es handelt sich dabei um die erste vollständige Dokumentation des Straßennetzes im südlichen Tirol. In dieser historischen Dokumentation, welche im Tiroler Landesarchiv in Innsbruck aufbewahrt wird, kamen nur solche Straßen und Saumwege vor, die dem Durchgangsverkehr dienten und damit überregionale Bedeutung hatten. Darunter befindet sich auch der Weg von Lana zum Gampenpass. Dieser hatte zwar aufgrund des Ausbaues der Verkehrsachsen in der Talsohle seit dem Ende des Mittelalters zunehmend an Bedeutung verloren, wurde aber von Amandus Platter mehrmals als Nebenstrecke erwähnt. Dies besonders in Zusammenhang mit der Beschreibung von Brücken. So findet die Brücke bei Völlan am Gampenweg, welche als „kostpar gewölbt“ bezeichnet wird, besondere Erwähnung, denn alle anderen Brücken waren nur aus Holz. Interessant ist auch die Feststellung von Platter, dass der gesamte Weg von Lana nach Völlan gepflastert war. Teilstücke dieser Pflasterung haben sich bis heute erhalten und wurden 2009/10 von der Marktgemeinde Lana in Zusammenarbeit mit dem Amt für Landschaft fachgerecht restauriert.
Im 19. Jahrhundert war der Weg über den Gampenpass zu einem schlecht instandgehaltenen Saumpfad verkommen. 1896 wurde mit der Planung des Baues einer modernen Straße von Meran bis Fondo begonnen. In der ersten Planungsphase war zunächst kein Übergang über den Gampenpass vorgesehen. Sie beinhaltete den Bau einer 53 km langen Straße über das Castrinjoch (Hofmahdjoch) nach St. Pankraz in Ulten und Lana. Im Juli 1896 zeigte eine kleine Gruppe von Verantwortungsträgern und Experten aus dem Burggrafenamt unter der Führung des Meraner Bürgermeisters Roman Weinberger die Vorzüge für den Ausbau der Gampen-Trasse auf, welche auch den Wünschen der Bevölkerung entsprach und große Resonanz bei der lokalen Presse erhielt.
Am 4. März 1897 wurde die Gampenpassstraße offiziell vom Tiroler Landtag in das Straßenbauprogramm übernommen. Kaum war der Bau der Gampenstraße beschlossen, begannen jedoch auf lokaler Ebene Diskussionen um den Straßenverlauf und die Probleme der Finanzierung. Gemäß der österreichisch-ungarischen Verwaltung mussten die lokalen Körperschaften und mitinteressierten Wirtschaftsexponenten in die Verwirklichung der Straße miteinbezogen werden, da sie per Gesetz verpflichtet waren, zur Finanzierung des Bauvorhabens und der Instandhaltungskosten beizutragen. Erst im Juli 1913 genehmigte der Tiroler Landesausschuss definitiv die Regelung der Straßenkonkurrenz für den Bau der Gampenpassstraße und zu Beginn des Jahres 1914 kündigte die Meraner Presse den Baubeginn der neuen Gampenstraße innerhalb des Jahres an. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verschlechterte die Lage jedoch grundlegend.
Kaum waren die schlimmsten Wunden des 1. Weltkrieges einigermaßen verheilt, wurde auch von Meraner Seite wieder Druck für den Bau der Gampenstraße ausgeübt.
Die Handelskammer von Bozen forderte bereits 1919 und 1920 den Bau der Gampenstraße in Zusammenhang mit einem landesweiten, umfangreichen Straßenbauprogramm mit dem Hinweis, dass bereits gut ausgereifte Projekte vorliegen würden. Die Gampenstraße würde sowohl den touristischen Wettbewerb als auch die Landwirtschaft und den Handel fördern.
Zum Jahreswechsel 1922/23 ergriff der Bürgermeister von Meran, Maximilian Markart, die Initiative und interpellierte alle zuständigen Behörden. Er fand zustimmende Worte u. a. sowohl vom Militärkommandanten als auch vom Präfekten der Venezia Tridentina, Giuseppe Gauadgnini, der den Genio Civile mit der Ausarbeitung eines Ausführungsprojektes beauftragte. Am 15. Juli 1923 hielt Ettore Tolomei im Stadttheater von Bozen seinen berühmten Vortrag zur „Italienisierung“ des „Alto Adige“. Im Abschnitt über die öffentlichen Arbeiten forderte er auch die Verwirklichung der Gampenstraße.
In den nachfolgenden Jahren unterstrichen Befürworter je nach Interesse jeweils die militärisch-ökonomischen, nationalen und/oder touristischen Beweggründe für den Bau der Gampenstraße. Regierungsstellen mussten von der allgemeinen Nützlichkeit einer solchen Verbindung überzeugt werden und die Ausarbeitung der Detailpläne der Straße, welche das Endstück der Staatsstraße Mantua–Meran darstellen sollte, musste vorangetrieben werden. Österreich hatte nur das erste Teilstück von Meran nach Lana verwirklicht, noch zu errichten blieben gut 38 km mit veranschlagten Kosten von neun Millionen Lire. Auch die neue Etschbrücke bei Marling, für welche Ausgaben von 400.000 Lire vorgesehen waren, befand sich noch in Planung. Die betroffenen Gemeinden verfolgten mit großer Anteilnahme die Planungsfortschritte, Besorgnis erregten allerdings die Beteiligungskosten.
Schließlich wurde im Oktober 1932 die bekannte Meraner Baufirma Delugan mit dem Bau der neuen Marlinger Brücke beauftragt, welche im Februar 1934 für den Verkehr freigegeben wurde. Mitte April 1935 schrieb das Ministerium für öffentliche Arbeiten den Wettbewerb für die Gampenstraße aus.
Ingenieur Gualtiero Adami und seine Straßenbaukunst
In dieser Phase betritt ein Mann die Szene, der für die Geschichte der neuen Gampenstraße von grundlegender Bedeutung werden sollte. Es handelt sich um den Ingenieur Gualtiero Adami, der 1900 sein Ingenieurstudium in Wien mit Schwerpunkt Brücken- und Straßenbau abschloss, im österreichisch-ungarischen Straßenbauamt und nach dem ersten Weltkrieg beim italienischen Genio Civile tätig war. Er wurde mit der Bauleitung der neuen Straße beauftragt. Adami überarbeite eigenhändig das Gesamtprojekt. Das überarbeitete Projekt wurde 1935 sowohl von den „Innsbrucker Nachrichten“ als auch vom Meraner Publizisten Albert Ellmenreich begrüßt.
Ab dem Sommer 1935 waren zwischen 1.000 und 1.200 Arbeiter von vier verschiedenen Firmen an fünf Baustellen in Fondo, Tret, Gfrill, Tisens und Lana tätig. Um die notwendigen Lebensmittel für die zahlreichen Arbeiter zur Baustelle in Gfrill zu liefern, wurde sogar eine eigene Materialseilbahn längs des Prissianer Tales installiert.
Nach ihrer Fertigstellung sollte die Gampenstraße folgende Eigenheiten aufweisen: Länge von Fondo nach Lana 31 km und 780 m, davon würden 13.630 km auf Trentiner Seite und 18.150 km auf Südtiroler Gebiet verlaufen. Bei den Kunstbauten wurde aufgrund fehlender Ressourcen der Einsatz von Eisen auf ein unverzichtbares Minimum reduziert, es herrschen massive Mauern und römische Bögen vor. Unter den zahlreichen Brücken und Viadukten längs der Straße stachen jene über den Abgrund des Rio Sass (26 m), von Cronaccia (18 m), von Santa Maria bei Tret (10 m), über die Schlucht von St. Felix (23 m lang und gut 48 m tief), die Lochmannbrücke mit drei Bogenöffnungen (zu 10 m) , die Tschenggbrücke (45 m lang), die Brücke von Naraun und jene mit vier Bogenöffnungen beim Brandisbach hervor. Es gab vier Tunnel bei Cronaccia (140 m lang), einen bei Gfrill (114,60 m), einen bei St. Hippolyt (170 m) und einen bei der Leonburg (66 m).