Die 99-jährige Geschichte der Seifenfabrik Kikinger
IM KULT füllt das historische Industriegebäude mit neuem Leben
Gampenstraße, Marling. Wir fahren auf den Hof der ehemaligen Seifenfabrik Kikinger. Schotter knackt unter den Schuhen und der Blick fängt das respektvoll restaurierte Industriegebäude aus den 1920er-Jahren begierig ein. Dem weithin sichtbaren, hoch aufragenden Schlot haben sich weitere architektonische Hingucker hinzugesellt: eine Reihe kubistisch anmutender pyramidenartiger Dächer. Dem Eintretenden, der die Augen nach oben richtet, enthüllt sich ihre Funktion: Die Lichtschächte holen den blauen Himmel oder das Sternenzelt in den Eingangsbereich des IM KULT.
Doch schauen wir zunächst in die Vergangenheit.
Im Meraner Mühlgraben eröffnete 1845 der aus Passau stammende Eduard Kikinger eine Seifensiederei und Kerzenzieherei. Nach seinem Tod 1878 heiratete seine Witwe den Vorarbeiter Johann Forstner, deren Ziehtochter Margarete Greil ehelichte Alfons Ortner senior aus dem Pustertal. Die beiden führten das Unternehmen Kikinger erfolgreich weiter und der geschäftstüchtige Alfons begann 1914 mit der Planung einer neuen Produktionsstätte in Marling. Zum einen, weil die Räume in der Meraner Innenstadt zu klein geworden waren, zum anderen, weil die Seifensiederei ein geruchsintensives Handwerk ist. In den überlieferten Rezepten der Familie Ortner finden sich Zutaten wie Rinderfett, Laugenstein, Kolofonium und Pottasche, aber auch altes Bratöl und Rindergalle.
Aufgrund des Ausbruchs des 1. Weltkriegs kam das Bauvorhaben zum Erliegen und wurde nach Kriegsende wieder in Angriff genommen. 1920 stellten die Baufirma Jos Bauer und Frau Petek sowie Zimmermeister Dominikus Schwienbacher und der Schlossereibetrieb Hans Troger den Bau nach Plänen der Firma S. Bondy aus Prag fertig.
Kreativer Entrepreneur mit originellen Ideen
Nicht nur Seifen, wie der im Volksmund gebräuchliche Namen Seifenfabrik suggeriert, sondern auch Kerzen sprich Wachs, Soda, Glyzerin und Schuhcreme wurden produziert. In den Zwischenkriegsjahren florierten die Geschäfte und bis zu 15 Arbeiter waren in der Manufaktur beschäftigt. Unternehmergeist und Einfallsreichtum zeichneten Alfons Ortner senior aus und bescherten der einzigen Seifenfabrik Südtirols wirtschaftlichen Aufschwung. Zum Erfolgsrezept zählten pfiffige Werbesprüche: „Wasche emsig, wasche viel, wasche nur mit Kikosil“ und originelles Produktdesign sowie eingängige Produktnamen wie Elefant für ein Bodenwachs. Eine quasi sagenhafte Verkaufsidee mit Schatzsuchercharakter kam bei der feinen Waschseife König Laurin zum Einsatz. In einige der Seifenstücke wurden Messingmünzen eingeschmolzen und die Kundinnen, die solch ein kostbares Stück frei-wuschen, bekamen eine weitere Seife geschenkt. Als Alfons Ortner junior 1967 den Betrieb übernahm, hatten sich Kundenwünsche und wirtschaftliche Bedingungen stark verändert, 1971 wurde zum letzten Mal Schmierseife produziert.
Parallel zur Fertigungsstätte öffnete bereits 1890 ein Detailhandel in der Meraner Innenstadt. Das Geschäftslokal befindet sich seit 1927 unter den Meraner Lauben und wird heute noch von Alfons Ortners Sohn, Erich Ortner, und seiner Frau Liesi geführt.
Architektonische Zeitzeugen gilt es zu bewahren
In den Jahren nach der Schließung der alten Seifenfabrik war das architektonisch interessante Industriegebäude mehrmals vom Abbruch bedroht. In den 1970er-Jahren wollte Emil Biasi dort eine Opel-Niederlassung erbauen, dazu kam es aber nicht. 2004 verkaufte Elisabeth Ortner Parmeggiani Gebäude und Grundstück an Anton Tschenett, auch seine Neubauvision wurde nicht realisiert.
2011 schließlich erwarb Andreas Eisenkeil, Besitzer des quasi angrenzenden Lichtstudios, die Immobilie. Sowohl Idealismus als auch Nostalgie haben den Unternehmer zum Kauf bewogen. Bei der Eröffnung erzählte Andreas Eisenkeil von berührenden Kindheitserinnerungen an selbstvergessenes Spielen im verwilderten Paradies des Seifenfabrikgeländes. Es bedurfte wohl eines Idealisten mit dem Bewusstsein, dass es dieses für unsere Gegend einzigartige historische Gebäude zu bewahren galt.
Ab 2015 reiften die Ideen und der renommierte Architekt Werner Tscholl wurde mit Planung und Konkretisierung beauftragt. „Architektur muss immer eine Geschichte erzählen“, erklärt Werner Tscholl, „und wir wollen die Geschichte dieses Ortes weiter erzählen mit neuen Mitteln, sodass das Neue und das Alte sich einerseits ergänzen und gleichzeitig einen spannenden Kontrast ergeben.“