Friedrich Wilhelm Ellmenreich
100 Jahre Ehrenbürger von Meran (1838-1923)
Im Sommer 2018 von Eva Pföstl
Im Juni 1918, also vor genau 100 Jahren, verlieh die Stadtverwaltung der Gemeinde Meran Friedrich Wilhelm Ellmenreich die Ehrenbürgerschaft: „Angesichts des vielseitigen dem Gemeindewohl gewidmeten Wirkens ist es uns ein Gebot der Pflicht diesem unseren hochverdienten Mitbürger einen Ehrenplatz in der Geschichte unserer Stadt anzuweisen.“ Die Stadtgemeinde zeichnete mit diesen Worten einen Bürger aus, der als „Zugereister” nach Meran kam und im Laufe der Zeit einer der führenden Persönlichkeiten der Meraner Politik und Zeitgeschichte wurde. Im Leben von Friedrich Wilhelm Ellmenreich wird die jüngste Vergangenheit Merans auf höchst anschauliche Weise greifbar.
Wir sprechen mit Horst Ellmenreich, dem „letzten” Ellmenreich´schen Buchhändler der Stadt Meran, über seinen Urgroßvater, der die Kurstadt Meran gemeinsam mit einer Handvoll anderer illustrer Meraner Persönlichkeiten wie kein anderer geprägt hatte, und über seine persönlichen Erinnerungen an die Buchhandlung „Poetzelberger”, die bis zu ihrer Schließung im Jahr 2009 ein hervorragendes Buch- und Kulturzentrum der Stadt Meran war.
Meraner Stadtanzeiger (MS): Herr Ellmenreich, woher stammt Ihre Familie?
H. Ellmenreich: Von den Alpen des Bregenzer Waldes (Gemeinde Au) kam aus Vorarlberg um 1700 ein Baumeister Leonhard Ellmenreich nach Offenburg. Sein Sohn setzte das Gewerbe fort und baute in Baden eine Reihe von Kirchen. Anscheinend als letzter männlicher Sproß wurde der Elsässer Johann Baptiste Ellmenreich der Stammvater der Künstlerfamilie.
Aus der Ehe stammte Albert, Vater von Friedrich Wilhelm Ellmenreich (F. W. E.). Er war ein vielseitiger, gebildeter Schauspieler, Sänger und Komponist, der für gute zwei Jahrzehnte als großherzoglicher Hofschauspieler in Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern) tätig war. Seine Frau Marie stammte ebenfalls aus einer Künstlerfamilie. Friedrich Wilhelm Ellmenreich wurde 1838 in Schwerin in Mecklenburg geboren. Er war der älteste von zehn Kindern. Nicht ungenannt sollten zwei Geschwister des F.W.E. bleiben. Sein Bruder Alexander folgte ihm nach Meran und war Besitzer des Hotels „Kaiserhof“. Seine Schwester Franziska, die international anerkannte Tragödin, bereicherte Merans Theaterwesen mit einigen Auftritten.
MS: Was können Sie uns von der Jugend und Kindheit Ihres Urgroßvaters erzählen und was bewog ihn, von Mecklenburg nach Meran zu kommen?
H. Ellmenreich: Friedrich Wilhelm trat mit 16 Jahren eine Lehre als Buchhändler bei August Hildebrand in Schwerin an. Nach abgeschlossener Lehre zog es ihn zuerst nach Wien und 1865 kam er nach Meran. Er trat hier die Stelle eines Geschäftsführers der durch den Tod ihres Besitzers verwaisten Buch- und Papierhandlung Sylvester Poetzelberger an, welche 1865 gegründet wurde.
Sein Freund Fromme, Kalenderverleger aus Wien und Vormund der Poetzelbergerschen Kinder in Meran, hatte ihm erzählt, dass „Da unten im Tirolerischen” ein Geschäft zu übernehmen wäre. Mit 20 Gulden in der Tasche kam Ellmenreich mit der Bahn von Wien nach Innsbruck und dann zu Fuß über den Jaufen nach Meran. Er avancierte zum Mitarbeiter der Buchhandlung und spielte dort in der Folgezeit eine immer wichtigere Rolle. Hochinteressant sind seine Schilderungen in den Briefen an seine Mutter, in denen er über das damalige Meran berichtet, über Charakter, Sitten und Gebräuche der Bewohner, die man erst studieren müsse, über das Weinchen, das delikat wie flüssiges Feuer durch die Adern ströme und über seine wunderbare Buchhandlung am Pfarrplatz.
1866 übernimmt er schließlich die Buchhandlung mit der Auflage, das Geschäft für alle Zeiten unter dem Namen Poetzelberger weiterzuführen.
MS: Und damit begann das faszinierende Leben des Unternehmers, eines rasanten und stets wachen Schaffensgeistes …
H. Ellmenreich: Neue, originelle Geschäftsideen, rastloser Fleiß und zielbewusste Geschäftstüchtigkeit ließen den jungen Buchhändler aus bescheidenen Anfängen schnell zu einem erfolgreichen Geschäftsmann avancieren. Ellmenreich hatte, wie viele Zugereiste, mehr Bindung an seine neue Heimat als so mancher Einheimische. Allerdings konnte er die Dynamik und Arbeitsenergie des Deutschen in sich nicht verlangsamen. Er besaß einen ausgeprägten Charakter, trat robust zupackend auf und ging in den Räumlichkeiten der Buchhandlung für die damalige Zeit völlig neue Wege. Unzählige neue Waren und Erfindungen, die man in Meran noch nicht kannte, wurden durch ihn eingeführt. „Ich handle mit allem, was auf Gottes Erden fabriziert wird: Papier, Leder, Bronze und Holzwaren, Zigarettenspitzen, Messern, Seifen, Eau de Cologne usw.”… ist aus den Briefen zu entnehmen, die der junge Buchhändler an seine geliebte Mutter schickte.
MS: Für die Stadt Meran brach damals eine neue Epoche an, in der die Stadt als Fremdenverkehrs- und Toursimusort entdeckt wurde. Dies war ein allmählicher Prozess, der sich über Jahre hinzog. Es ist das milde Klima, die vielen Sonnentage („nur Kairo weist mehr Sonnentage auf als Meran ”), die Meran zum „Südbalkon der Alpen” werden lassen, einem Winterkurort mit Herbst- und Frühjahrssaison. Welche Rolle spielte Friedrich Wilhelm Ellmenreich in jener Phase des Aufbruchs?
H. Ellmenreich: Der Buchhändler bewies Weitsicht und begriff den Tourismus als außergewöhnliche Chance. Seine Bücherei war von Anfang an ein Treffpunkt für die Kurgäste, da sie Bücher und Medien in mehreren Sprachen führte. Die Gäste konnten in der Bücherei und Kunsthandlung aber auch Galanteriewaren, Sportartikel, Theater- und Konzertkarten sowie Winterreifen erwerben. Ellmenreich errichtete Geschäftsfilialen in Trafoi, auf der Mendel, am Karersee und in San Martino di Castrozza, weil es im Sommer in Meran kaum Touristen gab und man „den Gästen nachreisen müsse”. Später kam noch die Feldbuchhandlung in Feltre dazu. 1866 erwarb er die Filiale der Moser‘schen Buchhandlung von Bozen und übersiedelte mit seinem Geschäft in das Haus am Pfarrplatz Nr. 1, wo es bis 2009 verblieb. Am 22. Oktober 1868 erhielt er die Genehmigung zum Betrieb einer Buch- und Kunsthandlung, Musikalienhandlung, Musikalienleihanstalt und einer Leihbiliothek. Mit der Genehmigung erhielt Ellmenreich auch das Bürgerrecht und wurde somit österreichischer Staatsbürger.
MS: Gab es bei allem Schaffensgeist auch kritische Stimmen?
H. Ellmenreich: Die Verleihung des Bürgerrechtes soll der entscheidende Anstoß für den Land- und Kriminalrichter A. Pallang gewesen sein, Ellmenreich, dem „Preußen”, seine Tochter Paula zur Frau zu geben. Der Ehe entsprangen fünf Kinder, darunter die zwei Söhne Oskar und Albert. So hatte der erfolgreiche Unternehmer nicht nur eine standesgemäße Frau gefunden, sondern sich auch eine weitere soziale Aufstiegsperspektive eröffnet. War doch die Integration nicht immer leicht und es gab auch kritische Stimmen, da sein Schaffensgeist und seine innovativen Ideen alteingesessene Kaufleute oft überforderten. Die Bezeichnung „Dahergelaufener” blieb weiterhin an ihm haften. Er fühlte sich jedoch wohl in seiner Wahlheimat, die Arbeit füllte ihn aus und es folgten Jahre aktiven Strebens und Wirkens für die Buchhandlung, die sich bald als gesellschaftlicher Mittelpunkt in Meran etablierte.
MS: Neben seiner Tätigkeit als Buchhändler war Ellmenreich auch als Verleger tätig.
H. Ellmenreich: 1879 erwarb Ellmenreich das nachbarliche Galanteriewarengeschäft Stockhausen mit einer kleinen Druckerei und dem Verlag der „Meraner Zeitung“. Er begann seine Aktivitäten im Bereich der Wohnungsvermittlung, mit einem Touristenauskunftsbüro, mit dem Verkauf von Karten für Theater und Konzerte, der Herausgabe von Fremdenlisten und druckte das heute noch wertvolle „Meraner Adressbuch” sowie den Gratisführer über die Stadt Meran. Ab 1880 veröffentlichte er unter anderem schon ein englischsprachiges Monatsmagazin mit dem Namen „Austria Contintental” und das Journal „Heimat”.