Harald Pechlaner
Ein Meraner und seine Gedanken über die Zukunft des Tourismus in Meran
Im Sommer 2019 von Eva Pföstl
Weltweit beschäftigen sich Städte und Regionen immer öfter und intensiver mit ihren Entwicklungsperspektiven im Bereich Tourismus und stehen in einem Wettbewerb um Ressourcen, Potenziale, Infrastruktur und Lebensqualität. Lebensraum- und Destinationsmanagement werden zu entscheidenden Zukunftstreibern, auch in Südtirol und besonders in Meran. Wir sprechen mit dem Meraner Harald Pechlaner, profunder Kenner des Tourismus und ausgewiesener Experte, über Trends und Herausforderungen, die den Tourismus begleiten und beeinflussen und dessen weitere Entwicklung im Spannungsfeld von globalen, nationalen und regionalen Prozessen.
MS: Eine Ihrer Kernaussagen zur aktuellen Tourismusdiskussion lautet: „Der größte Feind des Tourismus ist sein Erfolg“. Was verstehen Sie darunter?
H. Pechlaner: Derzeit erleben wir einen unglaublichen Boom des Tourismus, nicht nur auf lokaler, sondern auch auf europäischer und nicht zuletzt auf globaler Ebene. Ja, ich würde sogar sagen, wir leben in einem „touristischen“ Zeitalter. Ich bin der Meinung, dass man die gesellschaftliche Entwicklung heute besser einschätzen kann, wenn man das Reiseverhalten breiter Gesellschaftsschichten in den Blick nimmt. Bestimmte Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel die Digitalisierung, ermöglichen ein völlig neues Angebot, das sich zunehmend außerhalb des klassischen Tourismusangebotes bewegt, und ein verändertes Buchungsverhalten von Seiten der Konsumenten. Die für den Konsumenten relativ niedrigen Mobilitätskosten, denken wir nur an die Low Cost Airlines, oder Boomprodukte wie der Kreuzfahrttourismus tun ein Übriges, um den quantitativen Erfolg des Tourismus unter Beweis zu stellen. Dass es da dann an manchen Orten und zu so manchen Zeiten zu einem gefühlten Zuviel kommt, kann einen wohl nicht verwundern. Und daraus folgt, dass wir den Erfolg des Tourismus wesentlich besser verwalten, managen und kommunizieren müssen.
MS: „Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet“, stellte der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger bereits in den 50er-Jahren fest. Trifft diese Aussage nicht eher auf die heutige Zeit zu?
H. Pechlaner: Sicherlich hat diese Aussage einen wahren Kern. Gerade in unserem touristischen Zeitalter fühlt sich niemand wohl mit der Bezeichnung Tourist. Jeder reist zwar gerne und es wird so viel gereist wie nie zuvor, aber Touristen sind dann doch immer die anderen. Oder denken wir an eine andere Besonderheit des Tourismus: Kaum schützen wir bestimmte Gebiete, zum Beispiel durch die Unterschutzstellung mittels Natur- oder Nationalparks oder die Verleihung einer UNESCO-Anerkennung, sind diese Gebiete in der Folge zunehmend für breite Zielgruppen attraktiv. Und ja, das gefühlte Zuviel an Touristen und Besuchern kommt nicht nur von Seiten der einheimischen Bevölkerung, sondern in der Tat auch von den Touristen selbst. Da stören sich beispielsweise Gäste aus einem Land an Gästen aus einem anderen Land.
MS: Die Diskussion um „Overtourism – Übertourismus“ steht für ein starkes Signal, dass sich der Tourismus grundlegend zu ändern beginnt. Worum geht es bei der Overtourism-Debatte überhaupt?
H: Pechlaner: Die Overtourism-Debatte ist weniger als eine Fundamentalkritik dem Tourismus gegenüber zu verstehen, sondern es geht in erster Linie um die Wahrnehmung der Einheimischen und darum, wie viel eine Gesellschaft aushält. Das bezieht sich einerseits auf die physische Tragfähigkeit – wie viele Besucher und Wanderer hält z. B. ein Naturpark aus? –, aber insbesondere auch auf die psychologische und gesellschaftliche Tragfähigkeit: Wie viel Tourismus können die Einheimischen ertragen? Wann empfinden sie das Gästeaufkommen als zu viel? Die Antwort hängt von den Einheimischen ab, es gibt keine allgemeingültige Definition. Overtourism hängt stark mit der Akzeptanz durch die Einheimischen in den jeweiligen Situationen zusammen.
MS: Gibt es statistische Daten zu diesem Thema?
H. Pechlaner: Eigentlich wissen wir gar nicht so genau, wovon wir reden, denn wir haben keine Daten zu diesem Thema. Bisher ist im Marketing und in der Forschung immer nur der Tourist im Mittelpunkt gestanden. Die EURAC in Bozen ist seit Kurzem in den Aufbau eines weltweiten Monitoringsystems für nachhaltigen Tourismus involviert, das erstmals die Lage der Einwohner berücksichtigt. Bisher haben wir nur jedes Jahr neue Rekorde von Nächtigungen publiziert und das hat uns am Ende mehr Kritik als Vorteile gebracht.
MS: Wo sehen Sie die Knackpunkte für die Zukunft in Südtirol?
H. Pechlaner: Den großen Städtetourismus haben wir in Südtirol nicht. Städte wie Meran müssen aber auch bei uns aufpassen, denn sie sind unheimlich attraktiv. Ich würde heute ganz besonders davon abraten, über Welt-Unesco-Stätten (wie auch für den Tappeinerweg angedacht) nachzudenken. Insgesamt hat Südtirol einen kritischen Punkt erreicht, an dem sich zunehmend Unmut aufstaut und der Grundlage für zunehmende Unzufriedenheit sein könnte: der zunehmende Verkehr.
MS: Auch bei uns gibt es eine Tendenz der Resortisierung, d. h. zum Bau von großen Hotelkomplexen? Wie sehen Sie diese Entwicklung?
H. Pechlaner: Vom betriebswirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen, ist es sinnvoll, größere Einheiten zu bilden, um bei Bettenkapazität und Marketing eine kritische Masse bilden zu können. Es ist aber eine Entwicklung, bei der man aufpassen muss. Denn die Beherbergung in Südtirol hat bisher in einem ausbalancierten Verhältnis zu den Orten und Landschaften gewirtschaftet. Der Ort benötigt funktionierende Betriebe und die Betriebe brauchen funktionierende Orte. Wenn ein Resort die Gäste an sich bindet, gehen diese nicht mehr in die Orte. Dann hat der Einzelhandel ein Problem, dann hat die Almwirtschaft ein Problem usw. Von der Regionalentwicklung her gesehen, ist das gefährlich. Nachhaltigkeit ist die Grundvoraussetzung für jede Tourismusform, die wir entwickeln. Das wollen die Märkte, und das ist für die Bevölkerung und ihren Lebensraum immens wichtig. Es wird in Zukunft verstärkt darum gehen, über eine Generation hinaus zu denken. Große Betriebseinheiten können auch optisch zum Problem werden, denn die besondere Atmosphäre unserer Orte wird durch solche Betriebe verändert und kann schnell darunter leiden.
MS: Genügen Maßnahmen wie Besucherlenkung und -steuerung, um dem Phänomenen Overtourism Herr zu werden?
H. Pechlaner: Die Diskussion um Overtourism geht sichtlich lösungsorientiert in Richtung Besucherlenkung und -steuerung. Nur: Konzepte zur Besucherlenkung und -steuerung beantworten noch nicht die zentrale Frage: Welchen Tourismus wollen wir? Um diese Frage haben wir uns jahrelang herumgedrückt, und es ist gut, dass mit der Overtourism-Diskussion nun gefordert ist, Antworten auf diese zentrale Frage zu geben. Diese Frage tut weh, denn es bedeutet, dass man Prioritäten setzen muss, dass über den Wohlstand, den der Tourismus generiert, nachgedacht werden muss, d.h. wer verdient am Tourismus und wie verteilt sich die Wertschöpfung des Tourismus? Letzteres ist ein zentraler Punkt in der Diskussion, denn die Wertschöpfung hat Auswirkungen auf die Wertschätzung – wenn nur wenige am Tourismus verdienen, darf man sich nicht wundern, wenn die Wertschätzung gegenüber dem Gast radikal sinkt.
MS: Was muss sich Ihrer Meinung nach in Zukunft ändern?
H. Pechlaner: Das Allerwichtigste scheint mir ein professionelles Lebensraum-Management zu sein, welches wir in den letzten Jahren völlig vernachlässigt haben.
MS: Was bedeutet professionelles Lebensraum-Management?
H. Pechlaner: Seien wir ehrlich: In unseren Tourismuskonzepten und -leitbildern der touristischen Entwicklung waren es zumeist Arbeitsgruppen, bestehend aus Tourismusexperten und -verantwortlichen, welche die touristische Zukunft geplant und verhandelt haben. Weitestgehend wurden nichttouristische Akteure nicht mit einbezogen. Das muss meiner Meinung nach grundlegend geändert werden. Es ist immer weniger so, dass die Tourismusverantwortlichen alleine und exklusiv über die touristische Zukunft von Orten und Regionen entscheiden sollen. Es ist entscheidend, dass die lokale Bevölkerung ganz stark in dieses Phänomen eingebunden wird. Es geht um die Akzeptanz im Spannungsfeld Gäste und lokale Bevölkerung, um gesamtgesellschaftliche Fragen. Dabei spielen natürlich auch die Betriebe und das Personal in den Betrieben eine Schlüsselrolle.