Kirche zum hl. Georg in Obermais
Im Sommer 2011 von Dr. Walter Egger
Die historische Gestalt des hl. Georg ist durch Legenden gänzlich überwachsen. Nur die schon früh einsetzende Verehrung bezeugt sein Martyrium. Nach der Überlieferung stammte er aus Kappadozien in der Türkei, war hoher Offizier im römischen Heer und wurde unter Kaiser Diokletian um das Jahr 305 enthauptet. Sein Kult, der in Lod in Israel begann, wo noch heute in einer Krypta das Georgsgrab gezeigt wird, breitete sich rasch sowohl über das Morgen- als auch Abendland aus. Der große Märtyrer, der auch zu den 14 Nothelfern zählt, wurde im Mittelalter der Schirmherr der Soldaten und Ritter, vor allem der Kreuzfahrer, die erstmals 1096 loszogen, um das Heilige Land von den Muslimen zurückzuerobern. Die Bauern erkoren den Heiligen zu ihrem Patron und empfahlen seinem Schutz besonders die Pferde, später das gesamte Vieh.
Noch vor dem 12. Jahrhundert wurden dem hl. Georg zu Ehren auch in unserem Lande zahlreiche Kirchen errichtet, deren Ursprung sich freilich im Dunkel der ersten Jahrtausendwende verliert. St. Georgen in Obermais wird 1256 erstmals erwähnt, als Gräfin Adelheid von Tirol zum Seelenheil ihres verstorbenen Vaters, des Grafen Albert von Tirol, ein Fuder Wein von einem Weingut zu „St. Georgen am Rain“ an das Kloster Chiemsee stiftete; am Rain („Ruan“) deshalb, weil das Kirchlein nahe über dem Abhang zur Passer steht.
Vom damaligen romanischen Bau sind kaum sichtbare Spuren erhalten, nur der massive Unterbau des Turmes mag auf diese Zeit zurückgehen. Im 15. Jahrhundert entstand ein einschiffiger gotischer Bau ohne Strebepfeiler, der 1490 zugleich mit drei Altären eingeweiht wurde. Das Kirchweihfest setzte der Weihbischof auf Philippi und Jakobi, 1. Mai, fest. An die einst gotische Kirche erinnern heute die Spitzbogenfenster und der achteckige Spitzhelm des Kirchturmes, die Sandsteinleibung am spitzbogigen Hauptportal, die marmorne Weihwassersäule im Mittelgang und nicht zuletzt ein Fresko im Altarraum, das bei der Renovierung 1988 wieder entdeckt und freigelegt wurde. Es zeigt die Verkündigung an Maria in Verbindung mit der mystischen Einhornjagd, die ursprünglich auf dem Bild vollständig mit dem von Jagdhunden gehetzten Einhorn zu sehen war. Als in der Zeit der Gegenreformation diese Darstellung verboten wurde, ließ man Einhorn und Jagdhunde hinter einer gemalten Mauer verschwinden.
Eine sichtbare Erweiterung und Aufwertung erfuhr das Gotteshaus um 1620, als Johann Eckhart von Rosenberg, Herr zu Winkl und Knillenberg, das linke Seitenschiff anbauen ließ, um dort seine Familiengrabstätte, die Rosenberg-Kapelle, zu errichten. Die Grabplatte Johann Eckharts (+1622) und der Grabstein des Vaters Kaspar von Rosenberg (+ 1614) sowie Reiterfähnlein und Familienwappen an der Nordwand weisen noch augenfällig darauf hin.
Wer heute die Georgenkirche besucht, den beeindrucken aber vor allem die Wand- und Deckenmalereien von Josef Wengenmayr, einem Maler von lokaler Bedeutung, der hier 1765 sein Hauptwerk geschaffen hat, nachdem in den Jahren zuvor das gotische Kirchlein im Stile des Barocks von Grund auf erneuert worden war. Der in Laimingen (D) geborene Wengenmayr ließ sich 1747 nach der Heirat mit der Tochter und Erbin des Malers Josef Prenner in Meran nieder und starb hier 1804 im Alter von 81 Jahren. Er entfaltete eine rege Tätigkeit vor allem im Umkreis der Stadt, erhielt aber auch zahlreiche Aufträge aus anderen Gegenden Südtirols, wo man seine flotte, in Fresko- und Öltechnik gewandte Malweise schätzte. Das große Deckenfresko ist, abgesehen von seinem religiösen Inhalt, als geschichtliches Dokument bedeutsam, da der Maler hier das seinerzeitige Landschaftsbild von Mais mit Kirchen, Schlössern, Ansitzen und verstreuten Bauernhöfen getreu nach der Wirklichkeit festgehalten hat.
Die äußere Gestalt der Kirche änderte sich nochmals 1914, als der Kirchenbauverein beschloss, das bestehende Haupt- und linke Nebenschiff um ein Joch nach Westen zu verlängern und rechts ein neues Seitenschiff anzubauen, wodurch die Hauptfassade eine weitgehend symmetrische Form erhielt. Die harmonisch gelungene Erweiterung nach den Plänen von Arch. Anton Pardatscher ist im Kircheninneren leicht zu erkennen, da im neuen Teil die beabsichtigte Ergänzung der Malerei wegen widriger Zeitumstände unterblieb und sich dieser Teil also heute unbemalt präsentiert.