Obstwirtschaft in Südtirol
Im Herbst 2014 von Helmuth Tschigg
Pink Lady – die Dame in Rosa
Noch sind nicht alle Äpfel geerntet, da gibt es sie schon knackig frisch in ganz Europa im Lebensmitteleinzelhandel. In dieser Woche beginnt auch der Verkauf der Clubsorte Pink Lady. Sie war die erste, die im Frühling in voller Pracht schneeweiß geblüht hat, und sie ist immer die letzte, die den idealen Reifezustand erreicht, um gepflückt zu werden. Die kalten Nächte und die letzten herbstlichen Sonnenstrahlen geben ihrem kräftigen Rosa noch die richtige Färbung. Diese Klimabedingungen mag die rosa Dame, ist sie doch in Neuseeland gezüchtet worden, wo teilweise ähnliche Temperaturen wie in Südtirol herrschen. Später hat eine französische Organisation, die StarFruitCompany, die Sortenrechte erworben und die Vermarktung an ausgewählte Partner in Europa delegiert, darunter, als wichtigsten Partner in Italien, die Erzeugerorganisation VOG. Bei den sogenannten Club-Apfelsorten wird die Produktion genauestens überwacht und größtenteils vorgeschrieben. Angefangen von der Grundstückauswahl über die Größe und Höhenlage der Flächen bis hin zur Produktionsbegrenzung und Mengenüberprüfung. Die Richtlinien der Starfruit müssen eingehalten werden, sonst fliegt der Bauer aus dem „Club“. Ganz neu ist die Sorte „Envy“, rot-grün, und demnächst wird ein „Yellow“, ein ganz gelber Apfel angepflanzt werden. Willkommen im Club!
Obwohl es bereits fünf bis sechs solcher Clubsorten gibt, die unter ähnlichen Auflagen angebaut werden, weil sie bessere Preise erzielen, sind die Hauptsorten in Südtirol die bekannten Golden, der Stark, Granny Smith, Gala usw., insgesamt rund 20 verschiedene Apfelsorten.
9.000 Südtiroler Obstbauern
Der Obstanbau wird in Südtirol von 8.000 bis 9.000 oft kleineren Landwirten betrieben. Man schätzt, dass die Wertschöpfung für die Bauern durch die Genossenschaften, die direkte Wertschöpfung von Zulieferbetrieben und die Leistungen der Handwerker im Lande etwa 10 % der Landeswirtschaftsleistung betragen. Die landwirtschaftlichen Genossenschaften des Landes haben es sich zur Auflage gemacht, möglichst alle Dienstleistungen und Materialien, die zur Obstproduktion und Verarbeitung gebraucht werden, hier im Lande produzieren zu lassen und zu kaufen. Mit Ausnahme der hochmodernen, technisch raffinierten Sortieranlagen wird alles hier hergestellt. Werte von mehreren Millionen Euro stellen allein die Großkisten dar, die von der Firma Palbox in Neumarkt produziert werden. Für die gesamte Ernte müssen nämlich Kisten zur Verfügung stehen, denn der gesamte Ablauf, von der Anlieferung über die Sortierung bis zur Einlagerung geschieht mittels Großkisten. Berge von bis zu 17 Meter Höhe stapeln sich vor den Obstkühlhäusern und auch in den Kühlzellen werden diese verwendet.
In Südtirol werden wir heuer eine Ernte von 110.000 Waggonladungen Äpfel haben. Man stelle sich die Länge eines Zuges mit 110.000 Waggons vor, dieser wäre etwa 1.400 km lang und würde von Bari bis Nürnberg reichen! Ein weiteres Kuriosum: Mit der Südtiroler Jahresproduktion könnte man jedem Erdenbürger einen Apfel geben, fast 7 Milliarden.
Der Begriff Waggon kommt aus der Zeit, in der das Obst noch mit der Eisenbahn versandt wurde. Die großen Obstgenossenschaften und sogar kleinere private Magazine hatten ein Bahngleis bis zu ihrem Betrieb. Von Hand, in Holzsteigen und in gepolsterten Körben wurden die Waggons beladen, 10.000 kg entsprachen einer Waggonladung. Ihren Bestimmungsort, z.B. in Russland, erreichte sie eine Woche später. Es gab keine gekühlten Waggons, deshalb wurden Eisblöcke ganz vorne vor die Ladung gelegt. Heute unvorstellbar, wo in vielen Sektoren nur noch „just in time“ geliefert wird, das heißt sofort, auf Abruf.
Just in time
Heute bekommt ein Kunde in Mailand seine zu Mittag bestellte Ware schon um Mitternacht zugestellt und am nächsten Morgen liegt das sortierte, frische Apfelangebot im Regal des Kaufhauses oder des Einzelhändlers für den Konsumenten bereit.
Damit dies möglich ist, haben die Obstgenossenschaften von allen Sorten schon die sortierten Qualitäten in den Kühlzellen. Dort lagern bei maximal 2 Grad, je nach Apfelsorte unterteilt, bis zu 40 Qualitätsklassen jeder Sorte: Größe und Farbe sind die Hauptmerkmale. Kleine „Fehler“ am Apfel werden nicht mehr akzeptiert. Diese Früchte landen folglich bei der industriellen Verwertung.
Die Qualitätskontrolle und die Auswahl könnte heute kein menschliches Auge mehr leisten. Deshalb wurde eine Maschine entwickelt, in der die angelieferten Äpfel zuerst schonend in einem Wasserbad aus der Großkiste gehoben werden. Dann schwimmen sie durch eine starke Brause und werden von Staub und Schmutz gereinigt. Danach übernimmt sie ein10-reihiges Förderband. Jeden Apfel einzeln, denn er wird auf drei Meter Länge auf Rollen in verschiedene Richtungen gedreht und dabei rund 70 Mal fotografiert. Jetzt bewertet ein Computerprogramm die Farbe, die Größe, eventuelle Fehler und die Form und entscheidet, in welches der 50 Auslauffächer der Apfel hineinschwimmen soll.
Alles spielt sich im Wasser ab und nass kommen sie auch in die Kühlzellen, weil dort hohe Luftfeuchtigkeit gefragt ist. Zudem wird der Sauerstoffgehalt stark reduziert, damit der Reifeprozess faktisch gestoppt wird. Deshalb sind die Äpfel auch nach einem halben Jahr noch wie frisch vom Baum geerntet.
Diese Klassifizierung durch den Spezialcomputer ist das Herzstück der Anlage und die Voraussetzung, um die heutigen vielfältigen Kundenwünsche erfüllen zu können. Diese Wünsche gipfeln später noch in den Vorgaben für die Verpackungen. Dort variieren nicht nur die Kundenwünsche der europäischen Abnehmer. Nachdem die Märkte auch im Nahen Osten und bis nach Indien erschlossen werden, muss man völlig andere Konsumgewohnheiten akzeptieren. Dort sollen die Äpfel zum Beispiel schon reifer sein. Anders als bei uns, denn hier zählt nur ganz knackig frisch.
Organisation ist alles
Südtirol ist mit 18.500 ha die größte zusammenhängende Obstanbaufläche Europas.
Die Dachorganisation für die Südtiroler Obstproduzenten ist schon seit 1945 die VOG. Sie entwickelte sich schnell zur mittlerweile größten Vermarktungsorganisation für Äpfel in Europa. Die VOG hat sich einen sehr guten Namen gemacht und vertritt im Ausland und bei Messen die Produzentenbetriebe, d.h. die Genossenschaften. Im Juli 1969 wurde von den Vintschger Obstgenossenschaften ein eigener Verband gegründet, die VI.P. Diese zwei großen Verbände, die VOG im Etschtal und die VI.P im Vinschgau, vertreten rund 90 % der Südtiroler Produktion mit ihren 15 der VOG angeschlossenen Genossenschaften und den sechs im Vinschgau bei der VI.P. Die restlichen Bauern verkaufen an sogenannte Versteigerungen, das sind Zwischenhändler, die die Ware sofort weiterverkaufen.