Sepp Mall
Lyrik ist die Essenz der Literatur
Im Frühling 2021 von Eva Pföstl
Sepp Mall gehört zu den bekanntesten Gegenwartsautoren Südtirols und erntet im deutschen Kulturraum viel Anerkennung. Der geborene Vinschger lebt seit 1992 in Meran. Er schreibt Gedichte, Romane und Hörspiele, leitet Schreibwerkstätten und ist auch als Übersetzer aus dem Italienischen tätig. Seine ersten literarischen Arbeiten – vornehmlich Gedichte – erschienen ab 1979 in Literaturzeitschriften und Anthologien, seit 1992 arbeitet er kontinuierlich als Schriftsteller. Mall ist Gründungsmitglied der Südtiroler Autorenvereinigung SAV, in deren Vorstand er viele Jahre lang mitarbeitete. Außerdem ist er Mitglied der IG Autorinnen Autoren und der Grazer Autorinnen Autorenversammlung GAV. Mall erhielt diverse Literaturpreise und Stipendien, u. a. den Meraner Lyrikpreis 1996, das österreichische Staatsstipendium 2011/12 und das Stipendium der Südtiroler Landesregierung 2012/13. Der Roman „Wundränder“ wurde 2005 zum „Innsbruck-liest-Buch“ gewählt und in 10.000 Exemplaren an die Innsbrucker Leser verteilt. Für die Arbeit am Lyrikband „Holz und Haut“, erschienen im Haymon Verlag 2020, erhielt Sepp Mall das „Große Literaturstipendium des Landes Tirol“.
Wir haben den Autor um ein Gespräch gebeten.
MS: Sie sind im Dorf Graun am Reschensee aufgewachsen und leben seit 1993 in Meran. Fühlen Sie sich mittlerweile als Meraner oder ist Ihre Seele noch im Vinschgau verwurzelt?
S. Mall: Das mit der Seele ist so eine Sache. Ich denke, man nimmt von allen Orten, wo man länger gelebt hat, etwas mit, was die eigene Identität mitbestimmt. Deshalb kann ich mich gar nicht so ausschließlich zuordnen, will es auch nicht. Klar ist auf alle Fälle, dass die Orte der Kindheit sehr prägend sind, und mit meinem Geburtsort verbindet mich noch immer vieles, aber deshalb zu sagen, ich sei ein Obervinschger geblieben, wär mir zu einseitig.
MS: Was gefällt Ihnen in Meran und was vermissen Sie?
S. Mall: Ich mag das Urbane, das Meran ja durchaus hat, in Ansätzen zumindest. In ein Cafè zu gehen und dort Zeitungen zu finden wie die NZZ oder Repubblica, zum Beispiel, das passiert dir in einem Dorf halt kaum. Und dann die wunderbare Architektur der Jahrhundertwende. Wenn ich etwas in Meran vermisse, dann sind das vielleicht die Kinos, die es hier einmal gab.
MS: Gibt es Orte in Meran, die Sie zur Inspiration für Ihre Texte nutzen?
S. Mall: Da muss ich leider passen. Aber das hat nichts mit Meran zu tun. Orte haben mich kaum einmal besonders inspiriert, eher sind es Stimmungen, die Lektüre oder die Auseinandersetzung mit bestimmten Themen, die mich zum Schreiben hinführen. Im Grunde ist es das Nicht-Vorhandensein einer Umgebung, was mich am meisten inspiriert – die Stille am Schreibtisch, der Blick nach innen und nicht der Blick nach außen.
MS: Wie entscheiden Sie, woraus Sie einen literarischen Text machen?
S. Mall: Das ist selten eine Entscheidung, die ich mit dem Kopf treffe. Manchmal, vor allem bei Gedichten, ist es wie im Spiel, ein Beginnen mit einem Bild, einem sprachlichen Cluster, welche dann weitergetrieben und ausgebaut werden. Bei Erzählungen oder Romanen sind es meist Figuren oder Themen, die mein Interesse reizen, und letzteres hat stark damit zu tun, dass ich einen persönlichen Bezug dazu habe und – last not least, dass es etwas ist, was noch keine klaren Umrisse hat und was ich mir schreibend erst erobern muss und kann.
MS: „Holz und Haut“ ist der Titel Ihres neuen Gedichtbandes. Haben Sie eine besondere Beziehung zu Holz?
S. Mall: Dass ich eine Affinität zu Holz habe, das bilde ich mir zumindest ein. Eine Liebe zu Bäumen, aber auch zur Arbeit mit Holz, und sei es nur das Holzhacken für den Ofen. Ich mag den Geruch von Harz und von Wäldern, von moderndem Holz, von Moos und Kiefernzapfen. Vielleicht hat einiges auch damit zu tun, dass ich als Kind oft im Wald unterwegs war und dass wir zuhause eine kleine Tischlerwerkstatt hatten, wo mein Vater Obststeigen herstellte. Wichtig war mir, was den Titel betrifft, der Gegensatz zwischen der Härte des Holzes und der Sanftheit der Haut, der sich hinter dieser Dualität verbirgt.
MS: Wer waren Ihre Vorbilder, als Sie zu schreiben angefangen haben?
S. Mall: Ich hatte nie ein Vorbild, in dem Sinne, dass ich so schreiben wollte wie dieser oder jener Autor. Oder diese oder jene Autorin. Aber bestimmt bin ich von Texten inspiriert worden, schließlich habe ich immer schon viel gelesen. Bertolt Brecht fällt mir ein, Max Frisch, Lenz, Büchner, Bachmann, Quasimodo, alles Autoren, mit denen ich in der Oberschule in Kontakt gekommen bin. Und auch heute noch inspirieren mich Texte immer wieder. Im Moment grad die Gedichte von John Burnside aus seinem Buch „Anweisungen für eine Himmelsbestattung“.
MS: Sie haben einmal gesagt, Schreiben sei eine Art von Therapie. In welchem Zustand sind Sie beim Dichten?
S. Mall: Eine richtige Therapie muss man natürlich beim Therapeuten machen, aber der Schreibprozess bringt es doch mit sich, dass man sich intensiv mit dem Eigenen beschäftigt. Man ist selten so auf sich zurückgeworfen wie in einem kreativen Prozess, auf die eigenen Fähigkeiten, auf das eigene Unvermögen, die eigenen Erfahrungen. „Ganz bei sich sein“ – wenn das nicht so ein dummes, klischeehaftes Modewort geworden wäre, dann könnte man das recht gut auf den Schreibprozess anwenden.