10. Oktober - Welttag der psychischen Gesundheit

Südtiroler Tag der psychischen Gesundheit

28. September 2019

In die Schlagzeilen gelangt unsere psychische Befindlichkeit meist erst, wenn Neugeborene zu Tode kommen, verhinderbare Suizide stattfinden oder Mobbingopfer zu sprechen beginnen. Dabei ist das Seelenleben genauso alltäglich wichtig wie die körperliche Funktion, wir leben psychisch von Beziehungen, Kontakten, sinnvoll erlebten Tätigkeiten und Projekten. Das ist wie Luft zum Atmen, wie Traubenzucker und Sauerstoff.

Europäische und amerikanische Studien belegen, dass 1/3 aller Menschen im Lauf ihres Lebens die Erfahrung einer behandlungsbedürftigen psychischen Störung machen – und die „glücklichen Südtiroler“ sind da keine Ausnahmen. Wittchen hat 1997 in einer deutschen städtischen Gegend im Laufe eines Jahres 15 % der erwachsenen Bevölkerung mit Angststörungen, 14% mit Depressionen und 11% mit psychosomatischen Störungen vorgefunden. 2012 wurden in ganz Europa praktisch identische Ergebnisse erzielt. Bei Depressionen muss man davon ausgehen, dass in jedem Augenblick in Westeuropa 5% der Gesamtbevölkerung daran leiden, das entspricht 25.000 Menschen in Südtirol.

Die psychiatrische Versorgung ist im Durchschnitt zureichend, wenn 2-3% der Bevölkerung in Behandlung sind. Laut der Beobachtungsstelle für Gesundheit wurden 2018 genau 10.249 Südtiroler an den Zentren Psychischer Gesundheit psychiatrisch behandelt, das entspricht 2,5% der erwachsenen Bevölkerung. Im Jahr 2008 waren im Vergleich nur 1,7% der damaligen erwachsenen Einwohner Südtirols in psychiatrischer Behandlung gewesen. 2018 sind 2958 psychiatrische Krankenhausaufnahmen erfolgt, wobei in 26% der Fälle die häufigste Diagnose „Depression oder andere affektive Störung“ gestellt wurde. Für die Tätigkeiten der Psychologischen Dienste liegen Zahlen von 2017 vor, als 8.877 Patienten landesweit behandelt wurden. 1360 Personen waren 2018 bei den Diensten für Abhängigkeitserkrankungen in Behandlung, und das Therapiezentrum Bad Bachgart tätigte im selben Jahr 383 Aufnahmen.

2018 sank die Zahl der Suizide in Südtirol auf den niedrigsten Wert von 36 Opfern – ein Ansporn zum Fortsetzen der intensiven und gezielten Hilfe, die man bei psychischen Krankheiten und Krisen im Lande erfahren kann.

Es gibt aber durchaus noch Einiges zu tun: Vorurteile abzubauen, Behandlungen besser zu erklären, Experten zu schulen und Betroffene sowie die Bevölkerung gezielter zu erreichen. Die WHO schätzt, dass die Depression 2020 die zweitwichtigste, 2030 die wichtigste Krankheit weltweit sein wird. Der Bedarf nach psychiatrischer, psychologischer und psychotherapeutischer Betreuung und Behandlung wächst laufend, Nicht zuletzt deshalb, weil zum Glück Betroffene und ihre Angehörigen mutig immer öfter selbst Hilfen suchen.  Vier verschiedene Psychotherapieschulen sind in den letzten 25 Jahren in Südtirol gegründet worden - und belegen das große Interesse der Experten, immer besser zu arbeiten. Notfallseelsorge und Notfallpsychologie leisten inzwischen unentbehrliche Dienste, auch die landesweite Kinderpsychiatrie soll in Kürze einen fachlich kompetenten Leiter erhalten. Und das allerschwierigste Kapitel der älteren Mitbürger und ihrer erhöhten Anfälligkeit für Depression und Demenz darf darob weder vergessen noch verleugnet werden.

Mutige Experten haben 2017 das „Netzwerk psychischer Gesundheit Südtirol“ gegründet, an dem sich die Leiter aller öffentlichen Dienste, die Menschen mit psychischen Krankheiten behandeln, beteiligen. Dieses Gremium von Fachpersonen berät die Politik und die Führungsspitze des Gesundheitswesens, und arbeitet nach der Maxime „Kurze Wege für rasche Heilung“. Seit 2018 ist es auch politisch gewollt und bestätigt. Es wird keine bequeme, aber sicher eine hilfreiche Einrichtung werden. 

Mutige Menschen, Betroffene und einige wenige Helfer, haben vor 22 Jahren in Bruneck die Selbsthilfevereinigung psychisch kranker Menschen „Lichtung“ gegründet. Sie ist Jahr für Jahr gewachsen, überzieht mit ihren Selbsthilfegruppen und Initiativen für die psychische Gesundheit das ganze Land, zählt inzwischen 400 Mitglieder und ist zum politischen und sozialen Sprachrohr der psychisch Kranken geworden. Aus ihr sind Betroffene hervorgegangen, die offen über ihre Krankheitserfahrungen sprechen, und keine Angst mehr vor sozialen Nachteilen und Ausgrenzung haben. Es sind die Vorboten einer freieren Gesellschaft. Sie sind Vorbilder an Zivilcourage, wenn wir selbst sie notwendig brauchen.

Roger Pycha (Leiter Psychiatrie Brixen) und Josef Pichler (Leiter Psychologischer Dienst Meran), Sprecher des „Netzwerks für psychische Gesundheit im Südtiroler Sanitätsbetrieb“


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