MEMC – Fluch oder Segen?
Wie gefährlich ist der Betrieb wirklich?
Im Sommer 2017 von Philipp Rossi
„Dieser Betrieb ist eine tickende Zeitbombe.“ Bürgermeister Paul Rösch hat eine klare Vorstellung über die Zukunft des Chemiewerks vor den Toren Merans, über den in den letzten Monaten heftige Wortgefechte ausgetragen wurden. Die Gerüchteküche brodelt, die Bevölkerung ist verunsichert. Stellt der Betrieb eine Gefahr für unsere Gesundheit dar? Werden die Sicherheitsauflagen eingehalten? Und wie geht es überhaupt nach dem Konkursverfahren weiter?
Der Meraner Stadtanzeiger hat mit dem Vorstand der MEMC gesprochen und versucht, ein möglichst objektives Bild der Lage zu zeichnen.
MEMC und Solland Silicon: zwei getrennte Betriebe
Auf dem 100.000 m² großen Firmengelände an der südlichen Stadteinfahrt von Meran befinden sich seit 2014 zwei unterschiedliche Betriebe, die zwar beide Chemieerzeugnisse herstellen, jedoch voneinander unabhängig sind. Der eine Betrieb, die SunEdison bzw. MEMC – in Italien lautet der offizielle Firmenname immer noch MEMC AG, obwohl der internationale Großkonzern SunEdison heißt –, arbeitet nach wie vor und beschäftigt fast 250 Mitarbeiter. Im anderen Betrieb, der Solland Silicon, die sich in einem Konkursverfahren befindet, steht die Produktion mittlerweile still; allein die für die Sicherheit im Betrieb zuständigen Experten sind noch beschäftigt. Bis vor drei Jahren, als sich die Unternehmensleitung der MEMC dazu entschloss, den Solland-Teil dem Unternehmer Massimo Pugliese zu veräußern, gehörte das gesamte Chemiewerk der MEMC.
90 Jahre Betriebstätigkeit
Die Meraner Fabrik entstand 1926 als eine der ersten Großindustrien überhaupt in Südtirol und stellte ursprünglich Düngemittel her. Der Übergang zum Chemiebereich erfolgte in den 1970er-Jahren. In den 1990er-Jahren wechselte die Firma ihren Namen von „Smiel“ zu MEMC. 1998 überschattete ein Betriebsunfall, der glücklicherweise glimpflich ausging, die erfolgreiche Firmengeschichte: Als Folge eines kleinen Brandes im Sinicher Werk stieg eine Giftwolke auf, die die im Umkreis wohnende Bevölkerung in Sorge versetzte. Niemand kam unmittelbar zu Schaden, doch die Angst war groß. 2009 expandierte das Unternehmen und baute ein neues Polysilizium-Werk, das dann 2014 unter dem Namen Solland Silicon an den kampanischen Unternehmer Massimo Pugliese verkauft wurde. Das plötzlich gestiegene Angebot an Polysilizium auf dem Weltmarkt durch chinesische Erzeugnisse führte dazu, dass die Solland ihre Wettbewerbsfähigkeit verlor und ein Konkursverfahren eingeleitet werden musste. Die SunEdsion verzeichnet dagegen immer steigernde Einnahmen und plant sogar eine Betriebserweiterung.
Die Produktionsabläufe in der MEMC
Hergestellt wird im MEMC-Werk monokristallines Silizium, welches dann in Novara, wo sich der zweite italienische Betrieb des US-amerikanischen Konzerns befindet, zu Siliziumscheiben weiterverarbeitet wird. Bei diesen „Scheibchen“ handelt es sich um sog. Halbleiter, die in den Innenteilen der Chips elektronischer Geräte, etwa Mobiltelefone, Anwendung finden. „Als Ausgangsstoff verwenden wir das Polysilizium, das bei 1.423°C geschmolzen wird. Danach wird das Material unter höchstem Druck zertrümmert und mit einem Dotierungsstoff machen wir das Material elektrisch leitfähig. Das gewonnene Monosilizium wird schließlich gedrechselt“, erklärt Mauro Pedrotti, der Präsident der MEMC AG. Die Solland Silicon, deren Produktion derzeit stillsteht, stellte dagegen das Polysilizium her. „Zwischen 2009 und 2014 konnten wir das Polysilizium direkt aus dem hauseigenen Werk erhalten, danach hat die neue Firmenleitung andere Marktstrategien verfolgt“, fügt Mauro Pedrotti
hinzu.
MEMC – eine Erfolgsgeschichte
„Unsere drei wichtigsten europäischen Kunden“, erklärt der Firmenleiter, „sind STMicroelectronics, ein Schweizer Unternehmen, das zwei Produktionswerke in Italien, in Agrate Brianza bei Mailand sowie in Catania, mit je 4.000 Angestellten besitzt, die Firma Infineon in Deutschland, den Halbleiterhersteller der Siemens sowie die holländische Firma NXP, welche den Elektrohersteller Philips beliefert.“ Die Konkurrenz kommt hauptsächlich aus dem Fernen Osten. „Wir sind der drittgrößte Marktanbieter weltweit“, ergänzt Mauro Pedrotti.
Weltweit beschäftigt der Konzern mehr als 7.500 Menschen, im Chemiewerk in Sinich sind es 250. „Die meisten Mitarbeiter kommen aus der näheren Umgebung“, betont Mauro Bertolini, der für das Personalmanagement in der Firma zuständig ist. Hochqualifizierte Ingenieure, für deren Fachgebiet es in einem Land wie Südtirol keine Ausbildungsstätten gibt, kommen von außen, etwa aus Bologna oder Turin. „Unsere Angestellten bleiben in der Regel lange Zeit der Firma erhalten. Ein Dienstalter von über zwanzig Jahren ist bei uns keine Seltenheit“, erklärt Personalmanager Mauro Bertolini.
Wie stark ist das Unternehmen in die regionalen Wirtschaftskreisläufe eingebunden? „Unsere Erzeugnisse haben zwar keine lokalen Abnehmer, aber wir arbeiten durchaus mit Klein- und Mittelbetrieben aus Meran und dem Burggrafenamt zusammen“, sagt Firmenchef Mauro Pedrotti. Als das neue Siliziumwerk 2009 gebaut wurde, hat das Unternehmen beispielsweise 250 Millionen Euro ausgegeben. „Großteils haben wir uns an hiesige Firmen gewendet“, so Mauro Pedrotti.