Worte haben längst fliegen gelernt
Im Frühling 2018 von Dr. Luis Fuchs
„Wenn das so weitergeht, wird die Mönchsgrasmücke, die da so flott singt, irgendwann auch nicht mehr da sein. Und dann wird es still.“ Der Vogelkundler Leo Unterholzner schlägt im Wochenmagazin ff Alarm. Infolge des dramatischen Insektensterbens fehle die Nahrungsgrundlage für die Vögel, deren Artenvielfalt zusehends dahinschwinde. „Und wir werden seelisch darunter leiden“, macht sich der Vogelkundler Sorgen. Dann werden wir wohl den 5-Uhr-Weckruf der Frühaufsteher wie Gartenrotschwanz, Rotkehlchen und Amsel vermissen.
Vögel haben auf uns Menschen immer schon einen besonderen Reiz ausgeübt, sie faszinieren uns durch ihr schillerndes Federkleid und ihren melodiösen Gesang. Vögel bereichern unseren Wortschatz mit Redewendungen; manche davon sind uns als „geflügelte Worte“ besonders vertraut. Treffend führte uns Marie von Ebner-Eschenbach diese Besonderheit bildhaft vor Augen: „Viele Worte sind lange zu Fuß gegangen, ehe sie geflügelte Worte wurden.“ „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.“ Die Redewendung warnt uns davor, uns auf einen hoffnungsvollen Einzelfall allzu sehr zu verlassen. Obwohl oder gerade weil wir ihn kaum zu Gesicht bekommen, begegnet uns der Kuckuck in manchem Spruch. Der Kuckuck ist los, heißt es, wenn alles drunter und drüber geht. Der Kuckuck wird auch stellvertretend für den Teufel genannt, wenn wir sagen: „Scher dich zum Kuckuck“, „Hol's der Kuckuck“, „Zum Kuckuck noch mal“.
Junge Singdrosseln werden in Südtirols Obstwiesen im Frühjahr von Vogeldieben systematisch aus den Nestern entnommen. Jäger aus dem oberitalienischen Raum zahlen für ein gutes Drosselmännchen angeblich bis zu 300 Euro. Geht aber die Rede von einer „Schnapsdrossel“, so ist damit ein Trinker hochprozentiger Spirituosen gemeint. Diese Drossel ist dann kein Vogel, sondern hier handelt es sich um ein altes Wort für Kehle und in der Jägersprache für die Kehle des
Wildes.
Obschon der Legende nach die Gänse durch Schnattern das römische Kapitol gerettet haben, wird die „blöde Gans“ das Gespött nicht los. Kommt ein Fahrzeug nur zögerlich in Schwung, gilt es als „lahme Ente“. Dagegen müssen wir uns immer häufiger mit „Zeitungsenten“ abfinden, die uns als irrtümliche Mitteilungen oder als bewusste Fälschungen untergejubelt werden. Der Ausdruck könnte darauf zurückzuführen sein, dass nicht überprüfte Meldungen als „not testified“, abgekürzt als N. T., bezeichnet wurden; daraus sind dann ganz einfach Enten geworden. Keinen tierischen Bezug mehr haben neuerdings Falschmeldungen, sie sind als Fake News schon salonfähig geworden.