Im Café Paris
Im Sommer 2012 von Gudrun Esser
DIE DA IST MIT DER DA DA UND DER DA IST MIT DEM DA DA UND …das ist alles andere als DADA, sondern der Begleittext einer Ausstellung, die 26 Studierende der Kunstakademie Münster mit ihren Professoren Maik und Dirk Löbbert in einem temporären Ausstellungsprojekt gestaltet haben, das durchaus viel Sinn macht. Professoren und Studenten sind der Einladung der Galerie Erwin Seppi gefolgt. Diese wiederum hat ihre Ausstellungsaktivität zum zweiten Mal in den Besitz der Familie Gobbi auf die andere Laubenseite verlagert. Im letzten Jahr zeigte dort der Berliner Filmemache Ede Müller Dokumentarfilme. Diesmal haben die Studenten Hand angelegt.
Nicht im ehemaligen Café Paarie oder Päriss oder sonst wie, sondern gut „ultnerisch“ im Café Paris (sprich Paariss) haben die Studenten aus Münster sich von den Räumlichkeiten des ersten Kaffeehauses Merans inspirieren lassen. Dort, wo einst der Meraner Männergesangverein gegründet wurde, etliche Bälle und Vorträge stattfanden und sogar Lehrkurse im Radfahren abgehalten wurden, ist heute ein Sammelsurium unterschiedlicher Zeitzeugen zu finden. Die Räumlichkeiten über und hinter dem Lederwarengeschäft Gobbi gehören der gleichnamigen Familie. Der heutige Zustand zeigt, dass nach der Schließung aus Caféräumen Wohnungen oder Büros wurden. Nun stehen etliche Quadratmeter leer - in ihnen ist die Zeit stehen geblieben - in unterschiedlichen Jahrzehnten. Eine Renovierung ist bei den heutigen Auflagen für die Besitzer undenkbar. Die Umgestaltung für nur einige Tage in eine Galerie umso erfreulicher für Besitzer Peter Gobbi. Dadurch hat auch er manches wieder entdeckt, was andernfalls wohlbehütet unter dem Staub der letzten Jahrzehnte ruhend vielleicht vergessen worden wäre. Die 26 Kunststudenten haben dem Gebäude, das verborgen in der zweiten Reihe liegt, neues Leben eingehaucht. Unter der Leitung der Tutorin Justyna Janetzek haben sie Gewesenes auf sich wirken lassen und daraus Eigenes entwickelt. Die Räumlichkeiten haben sie blank geputzt, dekoriert, gestaltet und in ihnen oder über sie philosophiert. Vorbereitet haben die Studenten ihre Arbeit bereits vor einem halben Jahr in Münster. Im Mai haben sie dann die Räume in Meran betrachtet und begonnen, Projekte in ihnen zu entwickeln. Der erste Eindruck und Gedanke, der beim Anblick des Raumes entstand, sei entscheidend, sagt Justyna. Auf diesen aufbauend entsteht ein Konzept für den Raum.
Ein kleiner Raum mit Mustertapete, eine seit Jahren nicht mehr verwendete Duschkabine, bei deren Anblick kaum Gedanken an Körperpflege aufkommen. Miriam Jonas hat hier einen Duschrotator kreiert. Das Haus sei voll Gerümpel gewesen, im Vergleich dazu wirkte selbst die alte Kabine reinlich, sagt Mirjam. Und hat sie zum Hausputz des verstaubten Hauses inspiriert. In jenem Ambiente jedoch weniger zu hydraulischen Arbeiten als vielmehr dazu, das Voyeuristische dahinter zu beleuchten. Daher nennt sie die Arbeit: „You can leave your hat on.“ Angelehnt an den Song, den Joe Cocker interpretierte und damit einen Striptease von Kim Basinger untermalte. Diese Filmszene des Films „9 ½ Wochen“ aus dem Jahre 1986 mit Mickey und Kim Basinger in den Hauptrollen gehört wohl zu jenen Szenen des Films von Regisseur Adrian Lyne, an die man sich am besten erinnert. So liegt dann auch statt rutschfester Matte ein Hut in der Kabine. Denn die Duschstange, Halterung einer Brause, durch die wohl nie mehr Wasser rauschen wird, diese eigenartige Stimmung des Raumes, habe die Stange eher an jene erinnert, an denen Gogo-Tänzerinnen lasziv entlang gleiten. Und in diesem Raum, so Mirjam, ist duschen ohne Wasser aber mit Hut angesagt.
Aber nicht das Äußere der Räume war maßgeblich, auch die Geschichte. Dass nicht nur der Lederwarenladen Gobbi im Haus ist, sondern dass dort einst auch der Großvater einen Herrenausstatter-Laden betrieb, inspirierte zu den Arbeiten. Denn beim Saubermachen stießen sie nicht nur auf alte Schaufensterfigurinen, sie stießen auf alte Rechnungen des einstigen Herrenausstatters. Geldbücher. Jene hätten zu einer eigenen Arbeit angeregt. Damit erhält eine Ecke des Hauses fast musealen Charakter. Eine wunderbare Angelegenheit auch für den jetzigen Besitzer und Betreiber des Lederwarengeschäftes, Peter, der aufgrund der Funde eingeladen wurde, wieder in einen Abschnitt Familiengeschichte einzutauchen.
Designstudenten wurden im Café Paris zu Archäologen.
Designstudenten, die sich archäologisch betätigt haben. Vom Staub befreit sind etliche Elemente des Herrenausstatters zutage gekommen. Diese haben sie poliert, neu arrangiert und ein Herrenzimmer geschaffen. Das i-Tüpfelchen der Arbeit: ein frischer Strauß Blumen, der die Vergangenheit ins Jetzt holt und ihr gleichzeitig huldigt. Das Einstige und das Heute miteinander zu verbinden, war die besondere Herausforderung für Miriam Jonas und Fabian Nehm. Denn, ohne Vergangenheit kein Jetzt, sagt Miriam: „Ohne Vergangenheit wären wir ja nicht, was wir jetzt sind.“ Damit entstand durch das Handanlegen der Künstler eine ganz eigene Sache. Der Charakter, die Geschichte der beiden Künstler wurden mit einem Stück Meraner Geschichte und jener der Familie Gobbi zu einem neuen Geschichtsdokument verschmolzen. Das einst legendäre Café Paris war zunächst zweitrangig, ist aber durch die Arbeit, die zur Schatzsuche wurde, auch immer präsenter.
Für Jonas Nehm war im Grunde schon alles da. Nur eben schlecht sichtbar. So habe man Vorhandenes nur noch herauskitzeln müssen. Und das Auferwecken aus dem Dornröschenschlaf sei gerade das eigentlich Schöne an der Arbeit gewesen.
„Wir haben die Räume aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt.“
Jonas Nehm
„Es war alles verdeckt und verstaubt, das freizulegen war wunderbar. Auch zu erfahren, dass manche Dinge aus den Räumen, auch wenn es zunächst nicht so schien, heute noch verwendet werden“, sagt Jonas. Zu hören, dass Peter Gobbi hin und wieder einen der alten Bierkrüge mit der Aufschrift „Café Paris“ herausfischt, um diesen wie einst mit kühlem Bier zu füllen, sei eine schöne Nebengeschichte gewesen, die während der Projektarbeit zutage kam. Für Jonas auch ein positives Signal, dass der Hausbesitzer noch Bezug zu der eigenen Geschichte und jener der Schätze, die sich dahinter verbergen, hat. Auch für Miriam eine kleine Hommage an die Vergangenheit.