Es gilt, das Leben mit den Augen anderer zu sehen
Im Sommer 2023 von Dr. Luis Fuchs
„Hier hat der Egoismus gesiegt und die Empathie ist gestorben“, entrüstete sich Reinhold Messner in einem Interview mit der Tageszeitung DIE WELT. Was war geschehen? Der pakistanische Bergträger Mohammed Hassan war am K2 in der sogenannten Todeszone gestürzt und schließlich ums Leben gekommen. Er soll von anderen Bergsteigern ignoriert und zum Sterben liegen gelassen worden sein. Messner vergleicht diesen Vorfall am K2 mit dem Sozialverhalten der Menschen in einer Großstadt: Liegt dort einer am Boden, würden alle daran vorbeigehen. Der Egoismus nehme zusehends zu und die Hilfsbereitschaft gehe uns verloren, bedauert Messner.
Was versteht man unter dem Begriff „Empathie“? Sinngemäß geht es um die Fähigkeit, sich in die Situation eines anderen „einzufühlen“. Man empfindet beispielsweise Schmerz, Angst, Trauer oder Wut so wie die betroffene Person selbst. Der Begriff „Empathie“ wurde in der deutschen Sprache erst im 20. Jahrhundert geläufig. Das spätgriechische Wort „empátheia“ bedeutet so viel wie „Leidenschaft“. Der deutsche Psychologe Theodor Lipps verwendete 1902 dafür die Bezeichnung „Einfühlung“. Er verstand darunter „ein inneres Mitmachen, eine imaginierte Nachahmung des Erlebens des Anderen.“ Daraus wurde in der englischen Übersetzung “empathy“, welches ab 1960 mit „Empathie“ zurück ins Deutsche übersetzt wurde. Empathiefähigkeit kann demnach als „Einfühlungsvermögen“ verstanden werden.
Die positive Wirkung der Empathie macht sich auch die Medizin zunutze. Eine Studie der Universität Wisconsin hat ergeben, dass empathische Ärzte die Genesung von Patienten beschleunigen. Als Ergänzung zur Standard-Behandlung hat man Patienten den Ärzten zugewiesen, die sich besonders nett verhielten, aufmerksam zuhörten und die Genesenden extra intensiv behandelten. Die Studie erbrachte das erhoffte Ergebnis: Die von empathischen Ärzten Betreuten waren am schnellsten genesen.
Menschen in Todesgefahr das Leben zu retten und dabei das eigene Leben zu riskieren, ist Ausdruck und Exempel selbstloser Empathie. Für derartige Einsätze in Extrem-Situationen wurden kürzlich in Innsbruck die Lebensrettungsmedaillen des Landes Tirol an vier Südtiroler überreicht. Diese Ehrung widmeten sie dann allen, „die mit Leidenschaft anderen Menschen helfen, auch wenn sie sich damit selbst in Lebensgefahr bringen.“