Die Bibliothek des Meraner Stadttheaters
Nur etwas für Kenner und Liebhaber?
Im Sommer 2023 von Veronika Rieder
Wieder steige ich im Theater die Stiege bis zum obersten Stockwerk, denn dort befindet sich neben dem Kostümfundus auch die Bibliothek. Zuerst betrete ich aber mit Sabine Hillebrand die Galerie und bestaune die wunderbare architektonische Gestaltung. In meinen Augen ist unser Stadttheater wirklich ein Juwel, vom Jugendstil geprägt. An der gegenüberliegenden Wand weist mich Sabine Hillebrand auf einen etwa senkrechten Streifen hin, an dem die ursprünglichen Farben freigelegt wurden. Es ist ein helles Blau, vor dessen Hintergrund sparsame Ornamente in zartem Weiß gut zur Geltung kommen. Derzeit dominiert ein dunkles Braunrot, wogegen die ursprüngliche Farbgestaltung heller, leichter und fröhlicher wirkt. Es wäre schön, das Theater in diesem neuen Glanz erstrahlen zu sehen!
Jetzt geht es zur Theaterbibliothek, die leider derzeit in einem Dornröschenschlaf liegt. Sabine Hillebrand ist nicht nur für den Kostümfundus zuständig, sondern verwaltet auch die Bibliothek des Meraner Stadttheaters. Im engen Raum, der mehr einem Magazin gleicht, steht Regal an Regal mit Büchern, sodass nur ein kleiner Platz für einen Arbeitstisch frei bleibt. An der Wand lehnen mehrere Mappen. In ihnen werden die Plakate aller Veranstaltungen im Stadttheater chronologisch geordnet aufbewahrt. Als erstes fällt mir der Größenunterschied ins Auge: Während Ankündigungen für Operetten, Tanzveranstaltungen und andere Aufführungen von 1900 bis ca 1960 meist im DIN A4-Format gehalten waren, sind sie jetzt von geradezu unhandlicher Größe. Offenbar werden wir von Plakaten aller Art und visuellen Ankündigungen dermaßen überhäuft, dass die Gestalter versuchen, sich gegenseitig in Größe und Farbgebung zu übertrumpfen, damit sie den Passanten hoffentlich auffallen.
Die Bücher waren während des Umbaus in den 1970er-Jahren wie die Kostüme in Kisten und Schachteln gepackt worden. So fand sie Dr. Raimund Senoner vor, der 1981 gebeten worden war, sie durchzusehen und zu ordnen – angesichts der etwa 21.000 Werke eine Aufgabe, die viel Geduld erforderte sowie eine nicht nachlassende Hoffnung, einen Überblick zu gewinnen und an ein Ende zu kommen. Raimund Senoner gelang dies im Laufe eines Jahres, eine beachtliche Leistung! Wegen der dicken Staubschichten arbeitete er anfangs mit Atemschutzmaske. Die Bestände waren nämlich seit Eröffnung des Theaters im Jahr 1900 zwar gesammelt, aber in erster Linie nur aufbewahrt worden, statt sie zu ordnen. Grob gesagt verteilen sie sich auf die Sparten Schauspiel und Musik. Beide Bereiche sind nochmals nach Sachgebieten gegliedert und alphabetisch nach Werktiteln geordnet. Das Werkverzeichnis umfasst 260 Seiten. Besonders interessant finde ich die Nachschlagewerke zu Autoren, Dramen, antiken Theaterstücken usw. sowie Werkführer etwa zu Schauspielern. Unter den deutschen und italienischen Büchern entdecke ich auch zeitgenössische Autoren wie die Gesamtausgaben der Werke Felix Mitterers oder Heiner Müllers. Vor allem aus der ersten Hälfte des 20. Jhs. sind die Texthefte oder Rollenhefte erhalten, manche schon etwas zerfleddert vom eifrigen Studium der wechselnden Schauspieler. In einigen stehen handschriftliche Notizen oder die Bezeichnung der Rolle wie „erste Dame“ oder „zweiter Liebhaber“. Während die Texthefte klein und eher dünn sind, ist die Unterlage für den Souffleur umfangreich und natürlich größer gedruckt, damit er in seinem Kasten und bei eher mäßiger Beleuchtung gut sieht und sofort aushelfen kann, wenn ein Schauspieler plötzlich nicht mehr weiterweiß.
Dicke, großformatige Hefte gewähren mir einen Einblick in die Arbeit von Regisseuren. Unter dem jeweiligen Titel eines Schauspiels, einer Oper oder einer Operette haben sie handschriftlich die Bühnengestaltung skizziert und mit Angaben zu einem ev. Aufbau, den benötigten Einrichtungsgegenständen, der Gestaltung der Kulissen usw. vervollständigt. Das gilt natürlich für jeden Akt, manchmal auch für einzelne Szenen. Zu den Auftritten und dem Standort oder den Bewegungen der Schauspieler geben die Autoren selbst öfters Hinweise, nämlich in den sog. Regieanweisungen, die aber der Regisseur allein oder mit der Truppe auch verändern kann, heute sicherlich mehr als früher. Ergänzt werden die Regiebücher durch Mappen, welche Fotos von Kostümen enthalten, gedacht als Anregung für Bühnenbildner, Kostümschneiderinnen, vor allem aber die Regisseure. In all diesen Heften könnte ich noch lange blättern, den Text des Stücks dazu lesen, mir die Kostüme vorstellen, die ich im Fundus gesehen habe oder das dazu gehörende Ankündigungsplakat anschauen. Auf einigen von ihnen entdecke ich einen besonderen Hinweis: Da werden die „p.t. Damen“ gebeten, mit nicht zu großen Hüten im Theater – man denke an die Mode der „Wagenräder“ – zu erscheinen, weil diese die Sicht der anderen Zuschauer beeinträchtigen. „p.t.“ ist die Abkürzung für „pleno titulo“, die bei unbekannten Personen alle möglichen Titel umfasst, damit sich ja keine Dame beleidigt fühlt, weil sie nicht korrekt angeredet wird. Auf alten Grabsteinen findet man unter dem Namen der Verstorbenen noch – für uns heute etwas übertrieben scheinende – Titel wie „Postmeistersgattin“ o.Ä.m.; keinen Titel anzugeben, wäre eine grobe Fahrlässigkeit gewesen.
Die zweite Abteilung der Theaterbibliothek umfasst die Musikalien. Sie wurden nochmals von Elfriede Hallama und Karl Kogler geordnet. Diese beiden Experten haben dankenswerterweise das gesamte Notenmaterial des Kurorchesters gesichtet und aufbereitet.