SW
Im Herbst 2023 von Cyrill Greiter
In meiner Kindheit war das Fernsehprogramm nicht nur spärlich, es gab wenige Kindersendungen und so durften wir Kinder manche Filme mit den Eltern schauen. Die meisten dieser Filme hatten im rechten oberen Bildrand das Kürzel SW. Diese Buchstaben standen für Schwarz – Weiß. Das war der Hinweis für die Zuseher, dass es sich um einen Schwarz – Weiß – Film handelt und nicht der Farbfernseher defekt war. Bei mir zu Hause spielte dieses Kürzel keine Rolle, denn wir hatten noch keinen Farbfernseher. Vom Kasperltheater über diverse Filme bis zu den Nachrichten war alles farblos.
Was mir heute eine Erinnerung an eine längst vergangene Zeit ist, begegnet mir darüber hinaus noch in alten Photos oder als Kunstgriff der besonderen Betonung in der Photographie.
SW das Kürzel für Schwarz – Weiß. Nur ein Kürzel oder doch auch häufig in unserer Gesellschaft anzutreffen? Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, dass heute eine harte Kante der Trennung durch unsere Gesellschaft geht: Die Meinungen prallen hart aufeinander. Die Gewichtung wird auf die Unterschiede und die gegensätzlichen, unversöhnlichen Standpunkte gelegt. Der Mitmensch wird auf die Unterschiede reduziert. Eine abweichende Meinung genügt und das Gemeinsame und das Verbindende treten in den Hintergrund. Eine fehlende Unterstützung in einem Teilbereich genügt und man fühlt sich verletzt und das Wohlwollen wird eingeschränkt oder entzogen. Mache ich mich dadurch nicht selbst farblos, indem ich mich und andere Menschen, das Zusammenleben und die großen und kleinen Ereignisse des Tages und der Gesellschaft reduziert und vereinfacht sehe und interpretiere? Nehme ich mir nicht die Farbe der Meinungsbildung und Meinungsentwicklung, des Nachdenkens und des Austauschs und dadurch des Lernens und des Reifens aus dem Leben? Was wäre, wenn Gott auch das Kürzel SW tragen würde?