„Unser Credo: keinen zusätzlichen Weg, keine weitere Hütte!“
Im Sommer 2020 von Eva Pföstl
„Berge sind stille Meister und machen schweigsame Schüler“, meinte bereits Johann Wolfgang von Goethe Anfang des 19. Jahrhunderts, als er sein Werk „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ vollendete. Auch Elmar Knoll könnte man als schweigsamen Schüler im Sinne von Goethe sehen. Für den ausgebildeten Ingenieur, der sich hauptberuflich mit Baumanagement und Gefahrgut beschäftigt, ist seit der Kindheit das Leben in den Bergen ein ganz besonderes Privileg, das aber auch mit großer Verantwortung einhergeht. In gewisser Weise ist der schweigsame Schüler mittlerweile zum engagierten Lehrer geworden. Elmar Knoll ist AVS-Vizepräsident und führt bereits seit 1997 mit großem Engagement und Einsatz den Vorsitz der Sektion Meran.
Wir haben Elmar Knoll um ein schriftliches Interview gebeten.
Meraner Stadtanzeiger (MS): Dem unbedarften Betrachter mag der Bergsport als primäre Aufgabe des Alpenvereins erscheinen. Dies ist aber nicht so, oder?
E. Knoll: Ende des 19. Jahrhunderts, also lange nach Goethe, erkannten natur- und bergbegeisterte Menschen den Erholungsgrad in den Bergen. Bald war unter den Eifrigsten klar, dass es Wege und Unterkünfte, beide mit Regelungen, brauchte, um dem Menschen den „Berg“ näherzubringen. Niemand erahnte damals die Explosion im Bergtourismus der letzten 25 Jahre. So war der Alpenverein schon vor 150 Jahren der Pionier im alpinen Raum und pflegte das Bergsteigen in all seinen Facetten. Diese Sportart entwickelte sich immer weiter bis hin zu den Langzeitstreckenwettbewerben in den Bergen, wohl eine Disziplin ausschließlich für super Trainierte. Der Wettkampf am Berg war, ist und wird nie Sache des Alpenvereins sein. Es geht um die gesunde Betätigung, die Entspannung, die Erholung. Werden diese Elemente gesucht, wird ziemlich schnell klar, dass zum Erhalt der körperlichen Betätigung in urwüchsiger Umgebung auch der Einsatz für die intakte Bergwelt mit all ihren Schutzfunktionen gehört. Das Heranbilden der Bergbegeisterten in allen Altersgruppen zum richtigen Verhalten in der Natur und somit am Berg, hat sich demzufolge zur zweiten Kernaufgabe entwickelt. Damit hängt auch der Einsatz für den Erhalt der Bergwelt zusammen und die klare Positionierung zum Thema Übertourismus und weitere Erschließung.
MS: Welches ist die oberste Priorität des AVS?
E. Knoll: Bei den Menschen das Verständnis zur Natur und zu den Bergen zu wecken, Neugierde zu schaffen und alle in die große Bergsteigergemeinschaft einzubinden. Hierzu gehören die verschiedenen Ausbildungen und gemeinschaftlichen Unternehmungen für alle Altersgruppen: Jugend, Familien, Erwachsene und Senioren. Ebenso die Ausübung und Förderung des Klettersports in den Kletterhallen zur Vorbereitung für den alpinen Bereich und als Sportart an sich, die ja kürzlich als olympische Disziplin anerkannt wurde.
MS: Was bietet der AVS seinen Mitgliedern?
E. Knoll: Ein unglaublich weitreichendes Freizeitprogramm fast die gesamte Woche in den verschiedenen Altersgruppen. Eine gediegene Ausbildung und die Förderung diverser Unternehmungen insbesondere für die Jugend. Nicht zuletzt Information über alle Arten von Medien und einen bestens funktionierenden Versicherungsschutz.
MS: Die Alpenvereine in Österreich (ÖAV), in Deutschland (DAV) und in Südtirol (AVS) haben sich zu einer überregionalen, alpenweiten Gemeinschaft zusammengeschlossen und sind somit „alpenübergreifend“ tätig. Welches sind die aktuellen Herausforderungen, die gemeinsam zu meistern sind?
E. Knoll: Der Zusammenschluss umfasst eigentlich alle Länder im Alpenbogen. Die Verhinderung der Alpenerschließung ist derzeit wohl die härteste Nuss, die es zu knacken gilt. Die Sicherheit am Berg zur Vermeidung vieler Unfälle ist unser aller Ziel und beschäftigt viele Mitglieder in den verschiedenen Kommissionen.
MS: Durch den Klimawandel schmelzen Gletscher, es kommt zu Erosion und Steinschlag in den Alpen. Viele Lebensräume für Pflanzen und Tiere verschieben sich. Wo muss der Alpenschutz ansetzen?
E. Knoll: In den Alpen benötigen wir Ruhezonen für Flora und Fauna. Demzufolge ist der Rückzug im alpinen Bereich anzutreten. Die Alpen leben gut, wenn die äußeren Einflüsse abnehmen. Die Alpen sind am Klimawandel nicht schuld, sondern sie sind die Leidtragenden. Ob es gelingt, die Verursacher der herannahenden Klimakatastrophe zu stoppen, bezweifle ich sehr. Veränderungen können auch positiv sein, nur gelingt es uns bis heute nicht, diese zu erkennen, da sie sehr wahrscheinlich auch noch nicht da sind.
MS: Wie passen der Tourismus und der Alpenverein zusammen?
E. Knoll: Ein Zusammenpassen kann ich nicht erkennen. Zu weit liegen die Wurzeln heute auseinander. Der Tourismus ist gewinnorientiert aufgebaut, der Alpenverein steht auf idealistischen und ehrenamtlichen Beinen. Der Tourismus hat auf den Grundlagen des Alpenvereins aufgebaut, nicht umgekehrt. Der Tourismus sieht im Alpenverein den Mahner und Bewahrer, umgekehrt bringt der Tourismus eine zu hohe Belastung für die Alpen. Das hat keine Zukunft. Während sich der Tourismus eigentlich um den Alpenverein nicht bemüht, versucht der Alpenverein immer wieder zu kommunizieren, zu sprechen und zu überzeugen, ganz abgesehen von den Warnungen.
MS: Gibt es zu viele Hütten und Wege in den Alpen? Brauchen wir so viel Infrastruktur in den Alpen?
E. Knoll: Alle Alpenvereine haben sich auf ein Credo eingeschworen: keinen zusätzlichen Weg, keine weitere Hütte! Hüttenbauten gibt es nur, wenn alte Hütten ersetzt werden müssen. Der Alpenverein hat somit schon seit Jahren die Reißleine gezogen und tritt demnach auch konsequenterweise gegen jede weitere Erschließung ein.
MS: Sie sind seit 1997 1. Vorsitzender der AVS Sektion Meran. Bei welchen Themen wollen Sie weiterhin Akzente setzen?
E. Knoll: Wir waren und sind ein ausgesprochen tolles Team in der Führung. In all dieser Zeit gab es kaum Probleme. Und gab es Meinungsverschiedenheiten, so haben wir uns diese im respektvollen Umgang miteinander ausgeräumt. Jeder packt an und setzt die vereinbarten Maßnahmen tadellos um. Ich durfte immer ein motiviertes Team leiten. Ich bin stolz auf meine Mitarbeiter und so soll es auch weiterhin sein. Die Verjüngung und Vergrößerung des Führungsteams ist wohl die anspruchsvollste Aufgabe. Ehrenamt in unserer Gemeinschaft ist so bereichernd und schön, das muss man unbedingt erlebt haben.
MS: Inwiefern hat der Bergsport Ihr Leben positiv beeinflusst oder gar verändert?
E. Knoll: Jede Sportart ist ein Lehrmeister.
Besonders am Berg lernt man Ausdauer, Rücksicht und Kameradschaft. Komponenten, die im Leben, im Beruf, in der Familie und im Freundeskreis einen hohen Stellenwert haben. Eine tolle Bergtour verändert jeden, wenigsten für ein paar Stunden oder Tage danach. Man erkennt, klein zu sein in einem etwas ganz Großem. Das macht glücklich.
MS: Worin liegen die Aufgaben der politisch Verantwortlichen in Zukunft?
E. Knoll: Das Ehrenamt in seiner ehrlichen Selbstlosigkeit darf nicht zum Knecht der Bürokratie verkommen. Die verbalen Beschwörungen des Ehrenamtes mögen so lange verstummen, so lange nicht eindeutige Taten in der Legislative und der Förderung jeder Art gesetzt werden. Die Komplexität im Bereich der vorgeschriebenen Maßnahmen nimmt dauernd zu und es müsste wohl jedem klar sein, dass weniger mehr ist. So auch bei der Behörde, die es ja geschafft hat, jegliches ehrenamtliche Tun bis ins Detail zu überwachen und wenn nötig, zu sanktionieren. Davon müssen wir dringend Abstand nehmen. Der Mensch braucht Freiräume im Handeln, so wie am Berg bei seinen Unternehmungen. Eigenverantwortung sollte nicht noch mehr degradiert werden. Eine Pandemie darf nicht Grund dafür sein, die Unterstützung des Ehrenamtes zu schmälern. Umgekehrt wäre richtig. Man sollte froh sein, dass es das Ehrenamt in diesem Ausmaß gibt und ihm deshalb stark unter die Arme greifen, nicht nur in finanzieller Hinsicht.