Jörg von Craushaar
„Dem Tiroler sagt man nach, ein Sturkopf zu sein…“
Im Herbst 2020 von Eva Pföstl
Karl Wilhelm Jörg von Craushaar, verheiratet, 3 Kinder, geboren in Zwickau/Sachsen, aufgewachsen in Hessen. Mit 12 Jahren verdiente er bereits mit Straßenkehren rund um ein Schloss zwei Jahre lang ein üppiges Taschengeld.
Er lernte Industriekaufmann und ließ sich bald nach der Lehre von einem Inserat der Firma Wella Haarkosmetik verführen. Sein beruflicher Werdegang führte ihn nach Deutschland, auch nach England, Dänemark, Italien und zu guter Letzt nach Österreich, wo er zur damaligen Zeit der jüngste Geschäftsführer bei Wella wurde.
1988 übernahm er Wella Italien mit 800 Mitarbeitern, eine der größten Filialen des Konzernes mit Sitz in Castiglione della Stiviere. Nach 7 Jahren konnte er seinem Nachfolger, einem jungen, talentierten Italiener, der 6 Jahre mit ihm gearbeitet hatte, ein auf Zukunft ausgerichtetes Unternehmen, hochprofitabel und im Markt stark wachsend, übergeben, zusammen mit den 800 italienischen Mitarbeitern. 1995 wurde er zum Vorstandvorsitzenden der Wella AG, einem DAX-Unternehmen, mit 18.000 Mitarbeitern, 2 Mrd. Euro Umsatz, vertreten in 128 Ländern, mit 60 Fabriken und über 70 Filialen weltweit, berufen. Nach 5 Jahren konnte er seinem Nachfolger einen gesunden Konzern mit knapp 3 Mrd. Euro Umsatz, mit 16.500 Mitarbeitern und einer starken Marktposition übergeben.
Herr Craushaar, warum sind Sie nach Meran gekommen?
Vor einigen Jahren auf einer Reise durch Australien hat uns der Uluru (Ayers Rock) in seinen mystischen Bann gezogen. Und ein Jahr später gerieten wir bei einem Seminar im Meranerhof für Meran ins Schwärmen. Seit 1988 lebten wir in einem kleinen Ort oberhalb des Gardasees in einem traumhaften Anwesen mit einem weiten Blick auf den See, auf Sirmione und den Monte Baldo.
Insgeheim trugen wir in uns seit einiger Zeit den Wunsch, näher an eine Stadt zu rücken, um Teil ihres Lebens zu werden. Nach nur 3 Jahren urlaubsmäßigen Probewohnens mit vielen Kontakten zu den Meranern, auch dank Rotary, trafen wir eine für uns mutige Entscheidung. Wir verkauften unseren Traum am Gardasee und zogen ganz nach Meran. In Obermais fanden wir eine Penthouse-Wohnung mit Blick auf die Texelgruppe mit der Mutspitze und der Zielspitze. Wir haben unsere Entscheidung bis heute keinen Tag bereut.
Was gefällt Ihnen an Meran?
Nachdem wir keine Großstädter sind und sein wollen, erfüllt dieses kleine, liebenswerte Städtchen vollends unsere Wünsche. Von Anfang an haben wir uns in die Reihe der Konzertbesucher eingereiht. Das Konzertangebot vom Südtiroler Festival und Musik Meran ist für uns ein Glücksfall, das Theater in der Altstadt hervorragend, und die Eröffnung des Kinos vor einigen Jahren hat uns hoch erfreut. Wir genießen die Stadt zu allen Jahreszeiten, bummeln unter den Lauben, und in den Cafés trifft man stets Bekannte zum Plaudern. Das i-Tüpfelchen ist die Natur, das Vitamin D = Sonne, die Berge und das köstliche Wasser aus dem Wasserhahn. Auf meinen Reisen habe ich in keinem Land der Welt ein Wasser gefunden, das dem hiesigen nur annähernd gleichkommt.
Was vermissen Sie in Meran?
Den Theaterplatz ohne Verkehr. Die Meraner Innenstadt ohne Auto. Bürgermeister Paul Rösch hat vor kurzem gesagt: „Es liegt in der DNA von Meran, zukunftsorientiert zu sein“.
Wie würden Sie den Meraner kurz charakterisieren?
Der Meraner, der Südtiroler hat unverkennbar seine Wurzeln in Tirol, auch wenn er gezwungenermaßen seit 1919 in Italien lebt, ohne Italiener zu sein. Geschichte und daraus ableitend die Kultur prägten den Menschen. Man spürt förmlich die Scholle, auf der er steht, in seinem Auftreten, seinem Stolz, Südtiroler zu sein, Tradition als Teil seines Selbstverständnisses zu leben. Dem Tiroler sagt man nach, ein Sturkopf zu sein; auch in diesem Sinne kann der Südtiroler seine Herkunft nicht ganz verleugnen.
Was ist der größte Unterschied zwischen Südtirol und Ihrem Heimatland?
Deutschland mit seinen 80 Mio. Menschen ist wohl kaum mit Südtirol mit seinen 500.000 Einwohnern in Verhältnis zu setzen. Das qualitative Leben hier in Meran ist nicht mit einem in Deutschland zu vergleichen, weil hier im Kleinen Großes umgesetzt wird dank der Autonomie, die man nicht hoch genug werten kann.